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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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angerechnet; sie waren nicht einmal aufgeführt. Laienspiel und Musik, wo er Auftreten, Stimmbildung und musikalische Fähigkeiten erlernt hatte, die allesamt für seine spätere Entwicklung sehr wichtig waren, wurden nicht aufgeführt. Entweder durch einen Irrtum oder durch Vorsatz – wahrscheinlich traf eher das letztere zu, weil man diese Kurse als geringer einschätzte, ungeachtet ihrer Wirkung auf die Studenten – hatte man einen erheblichen Teil seiner universitären Entwicklung herausgeschnitten. Sauber, wie bei einer Beschneidung. Hätte er es gewußt, hätte er wohl protestiert. Aber der Schleier der Geheimnistuerei hatte ihm dieses Wissen bislang erspart.
    Gab es jemals eine Rechtfertigung für Heimlichtuerei? Oder war das augenscheinliche Bedürfnis, irgend etwas zu verbergen, ob körperlicher oder informatorischer Art, ein Zugeständnis des Versteckenden, daß es sich um etwas Schändliches handelte? Sicher war der Akt des Verbergens selber schändlich. Darüber müßte er noch weiter meditieren.
    Jedoch konnten die falschen Zensuren die Tatsache, daß er etwas gelernt hatte, nicht leugnen. Paul hatte dort profitiert, und zwar in hohem Maße aus den Erlebnissen in diesem Institut. War das nicht das Wichtigste an der Erziehung? Das College hatte ihn durch die verzerrten Aufzeichnungen nicht wirklich herabgewürdigt oder ihm etwas entzogen – es hatte lediglich seine Wirkung auf ihn unterschätzt. Wenn er im weiteren Leben gescheitert wäre, hätte dies nicht in der Akte gestanden, und wenn er Erfolg hatte, so gab es auch keine Vorhersage. Wie bei so vielen konventionellen Akten, die durch konventionelle Faktoren verzerrt werden, war dies höchst unbedeutend. Das College hatte sich selbst getäuscht, indem es ein Dokument der Mittelmäßigkeit anstatt ein Dokument der Genauigkeit angelegt hatte. Durch die Akte würde das Gute, was ihm im College widerfahren war, niemals bekannt.
    Paul las zu Ende und schloß die Akte. Er war nachdenklich geworden. Es handelte sich also doch nicht um das Werk des Teufels, sondern um das Werk von unvollkommenen Menschen. Vielleicht war das größte Scheitern auch das subtilste: In all diesem Sumpf von Statistiken, Prüfungsergebnissen – ja, es gab sie wirklich! – und Kommentaren war es den Behörden irgendwie gelungen, das Wichtigste von ihm völlig außer acht zu lassen. Wenn ein Fremder diese Aufzeichnungen las, würde er nichts über Pauls Fähigkeiten oder Charakter erfahren. Hier war er unbeschreibbar, besaß weder Persönlichkeit noch großes Potential.
    Er hatte zu jener Zeit gewußt, daß einige Lehrer (darunter zu Pauls Bedauern auch Will Hamlin) in ihm, Paul, nichts Vielversprechendes sahen. Vielleicht würden sie auch sein heutiges Leben nicht als bezeichnend für ‚Erfolg’ ansehen. Er hatte damals vermutet, der Grund läge darin, daß sie sich nicht wirklich Mühe gaben, ihn zu begreifen, und wenn sie sich die Mühe gegeben hatten, besaßen sie einfach nicht die Intelligenz, ihre Arbeit richtig auszuführen. Die Sache mit dem Normenkontrollkomitee hatte bewiesen, auf welcher Ebene sie menschliche Werte beurteilten. Paul war auf unkonventionelle Art intelligent und in konventionellen Termini gleichgültig. Mit den üblichen Normen war er nicht leicht zu bewerten. Die Aufzeichnungen bestätigten dies: Sie stellten sie dar und nicht ihn.
    „Übertragung“, sagte er.
    „Was?“ fragte Carolyn.
    Plötzlich befand er sich wieder in der Gegenwart, wie sie gerade war. Er hatte dem Kind einen komplexen Begriff hingeworfen. „Übertragung. Das ist, wenn eine Person ihre Gefühle oder Handlungen auf eine andere überträgt. Wenn man jemanden nicht leiden kann, kann man sagen: ‚Diese Person haßt mich.’ Wenn man sich müde fühlt, sagt man: ‚Sie haben diese Stufen zu steil angelegt.’ Es ist die Art, mit bestimmten Dingen so umzugehen, die man bei sich selbst nicht erkennen will. Man lastet sie einfach jemand anderem an.“
    „Wie bei Voodoo?“ fragte sie aufgeweckt.
    „Hmm. Nein. Du denkst daran, wie man Nadeln in Puppen steckt, und die Person, für die die Puppe steht, wird verletzt?“
    „Ja. Vielleicht tut es der Puppe auch weh. Meiner würde es weh tun.“
    Natürlich hatte sie Mitleid mit der Puppe. Wie schwer es war, die Falle zu meiden, in die er hier hineingestolpert war, nämlich es zu schaffen, den Lernenden kennenzulernen und somit auch seinen Erfolg beurteilen zu können. „Das ist nicht eigentlich das gleiche. Andererseits …“ Was

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