Die Voegel der Finsternis
du nur zwei Möglichkeiten von hier fortzukommen. Entweder du stirbst oder du wirst ein Bauer." „Ein Bauer?"
„Komm schon, junger Mann. Du bist doch mit all dem anderen Gesindel hierher gekommen. Ist dir nicht aufgefallen, dass viele, die dir entgegenkamen, eine Getreidegarbe auf die Stirn gebrannt haben?" Das war Jasper in der Tat aufgefallen. Männer, die sich neben ihren Pferden und leeren Karren dahinschleppten, die Augen auf den Boden gerichtet, auf der Stirn das unverwechselbare Zeichen der Bauern. „Sie versorgen die Stadt mit Getreide und anderen Lebensmitteln und für dieses Privileg tragen sie das Zeichen. Freie! Die sich zeichnen lassen." Carl spuckte wieder aus.
„Sie lassen sich zeichnen, obwohl sie Freie sind?" Jaspers Magen zog sich zusammen.
Carl nickte. „An der Mauer sterben immer mehr Freie, die nachts versuchen, dieser verfluchten Stadt zu entkommen." Er zeigte zum Meer. „Und immer mehr Freie sterben bei dem Versuch, über das Meer zu fliehen." Er legte ein Stück Treibholz ins Feuer. „Aber nicht die, die Vahss trinken. Die wollen nicht fort." „Vahss?", fragte Jasper wieder.
„Vahss. Der beste Höllentrank, der je gebraut wurde. Stiehlt dem Menschen die Seele. Wenn dir je ein orangefarbener Trank angeboten wird, lehne ab, und pass auf, dass der Junge nichts trinkt." Was war das für eine teuflische Sache? Ein Trank, der dem Menschen die Seele stahl? Jasper holte tief Luft. „Morlens Gift", sagte Carl mit gesenkter Stimme. „Vahss. Die orangen Fläschchen. Das ist Morlens Erfindung. Denen, die Vahss trinken, wird alles gleichgültig, sie tun nur noch, was Lord Morlen will." Er presste seine magere Faust in die offene Fläche der anderen Hand. „Manche trinken es so oft, bis ihr Herz aufhört zu schlagen."
Schaudernd wühlte Jasper in seiner Tasche. „Hast du etwas Brot und Wasser übrig? Ich zahle gern mit Besaets dafür."
Carl nickte und nahm einen Besaet. Er gab Jasper einen Laib Brot und ein Stück Käse. Jasper reichte das Essen an Devin weiter. „Und Wasser?"
Carl stand auf. Er stocherte kurz im Sand und zog eine Lederflasche hervor, die er Jasper reichte. Dieser nahm einen tiefen Schluck. Das Wasser rann wunderbar durch seine ausgedörrte Kehle, obwohl es etwas abgestanden schmeckte. Er riss ein Stück Brot ab und bot Devin Brot und Wasser an. Den Rest packte er ein. Das mussten sie für später aufheben.
„Danke." Jasper hob Devin auf Fortunas Rücken und stieg dann selbst auf.
Er ritt wieder in Richtung der Piers. Bald spürte er Devins Gewicht im Rücken, das im Schlaf gegen ihn drückte. Jasper ritt bis zu der Stelle, wo die Pfähle, die die Lagerhäuser stützten, aus dem Sand ragten. Er stieg vom Pferd und starrte auf die schwarzen Wellen hinaus, die von weit her auf ihn zurollten. Die Wolkendecke hatte sich gelichtet und der Mond erschien. Es war fast Vollmond.
Er weckte Devin auf. „Wir gehen zurück und holen den Traumwenstein. Maeve möchte bestimmt nicht, dass er verloren geht"
Der Junge sah ihn ehrfürchtig an. „Springst du dann vom Pier ins Wasser?"
„Nein. Ich gehe unter den Lagerhäusern durch." Er zeigte in das Dunkel unter den lang gestreckten Docks.
„Aber woher weißt du, welcher Pier es ist?" „Ich habe sie gezählt."
Jasper musterte den Abstand zwischen den Lagerhäusern und dem Strand. Für Fortuna war es zu niedrig. Er band sie an einen Pfahl, wohl wissend, dass sie möglicherweise nicht mehr da sein würde, wenn er zurückkam. „Lass dich von niemandem stehlen, du." Liebevoll streichelte er ihre Nase.
Dann schlüpften Jasper und Devin unter die tief herabhängenden Tragebalken der Lagerhäuser. Über ihren Köpfen hallten die Planken von der Brandung wider und dröhnte das Getrappel von Menschen und Tieren. Es war mühsam, eine so lange Strecke gebückt zu gehen. Jasper beneidete Devin, der aufrecht gehen konnte. Das Meer hatte eine gespenstische, graue Farbe angenommen, bald würde es hell werden. An der Markierung der Pfähle konnte Jasper die Höhe der Flut ablesen. Sie mussten sich beeilen, wollten sie den Stein finden und rechtzeitig zurück sein, bevor sich die Lücke vor ihnen mit Wasser gefüllt hatte. Sorgfältig zählte er die Landungsbrücken ab. Als er die Stelle erreichte, wo Maeve gefangen genommen worden war, blitzten die ersten Sonnenstrahlen über dem Wasser auf. Jasper kroch unter den Balken hervor, Devin folgte ihm. Hoch über ihm erhob sich der Pier. Seine mächtigen Stützpfeiler waren mit Felsbrocken im
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