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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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Natur. Sie machen Zäune drumherum, vergiften die Insekten und binden die Pflanzen gerade. Hier kann Mutter Erde nicht mehr atmen. In solchen Vorgärten finde ich meine Mutter nicht.
    Das Grundstück des Meisters sieht anders aus. Es hat keinen Zaun und es ist total verwildert. Das Haus duckt sich hinter zwei alten Apfelbäumen. Die Fassade ist völlig zugewuchert. Efeu und wilder Wein umklammern sogar die Fenster. Jetzt, im Oktober, färbt sich das Weinlaub leuchtend rot. Hinter den schütter gewordenen Apfelbäumen leuchtet es wie Feuer. Auf dem Grundstück liegt Unrat, und es stinkt nach Katzen. Er sagte, die Nachbarn wollen ihn von dort weghaben. Er sagte, lange wird es sowieso nicht mehr dauern, bis er die letzten Reste seiner bürgerlichen Existenz aufgeben wird. Er hofft, dass ich bis dahin die große Reinigung vollzogen habe. Ich hoffe auch, dass ich es schaffe. Ich habe mein letztes Geld mitgenommen und das, was ich in Mutters Schreibtischschublade gefunden habe.
    Ich hoffe, es ist genug.

5. Kapitel
    Also, Cenk – was haben wir alles auf unserer Liste?« »Putzfrau und Nachtwächter, Chef. Dann die normale Umfeldabklärung. Verheiratet war er ja nicht, also stellt sich die Frage nach einer Freundin.«
    »Die Löble scheidet da wohl eher aus«, brummte der Kommissar.
    Sie saßen in Hoffmanns Büro. Die Spurensicherung war abgeschlossen. Nun sichteten sie die Papiere. Im Wesentlichen ließen sie sich zwei Gruppen zuordnen, Literatur über Hexen und Quellentexte zu indianischem Schamanismus. Offensichtlich hatte sich Hoffmann erst am Anfang seiner Suche befunden.
    Die spärlichen handschriftlichen Notizen gaben keinen weiteren Aufschluss. Vieles, was Hoffmann in seiner weit ausholenden, fahrigen Handschrift notiert hatte, war ebenso heftig wieder durchgestrichen worden. Zahllose, zusammengeknüllte Zettel lagen rund um den Papierkorb auf dem Boden.
    »Sieht so aus, als ob er nicht besonders gut im Zielen gewesen ist«, meinte Cenk.
    »Sieht ganz so aus, als ob er auf seiner Suche partout nicht fündig geworden ist – so viel wie er weggeworfen hat.«
    »Vielleicht wusste sein Mörder besser Bescheid?«
    »Kann schon sein, aber leider ist er ja nicht mehr zum Aufschreiben gekommen. Lassen wir das, Cenk; das bringt uns nicht weiter. Gehen wir lieber mal unsere Liste durch. Spurensuche. Wenn es auf der Tatwaffe Fingerabdrücke gibt, dann müssen wir sie mit allen im Institut Beschäftigten abgleichen. Vor allem natürlich mit der Löble und mit Gräber.«
    »Da kommt mir eine Idee, Chef. Wir sollten unbedingt auch nach unsichtbaren Blutspuren in den Büros der beiden suchen. Ist Ihnen aufgefallen, wie penibel geputzt der Schreibtisch der Löble war?«
    »Richtig. Ich rufe Meyer an. Der soll das sofort in die Wege leiten.« Der Kommissar tippte die Nummer in sein Handy und gab einige kurze Anweisungen.
    »Dann die Presse, Chef.«
    »Das hat Zeit. Für heute reicht eine kurze Pressemitteilung. Pressekonferenz frühestens morgen Nachmittag.«
    »Das werden die aber gar nicht gerne hören. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir.«
    »Macht nichts. Wir wissen einfach noch zu wenig. Es macht keinen Sinn, jetzt schon mit Details an die Öffentlichkeit zu gehen.« Er klopfte Cenk tröstend auf die Schulter. »Das machen Sie schon. Informationssperre aus ermittlungstechnischen Gründen, basta. Die Journaille muss eben auch mal ein paar Kröten schlucken.«
    Stirnrunzelnd machte sich Cenk ein paar Notizen. »Sonst noch was?«
    »Ja, die Gerichtsmedizin in Zürich, aber das übernehme ich – und Cenk, bevor ich es vergesse, finden Sie für mich bitte heraus, ob es hier in der Gegend Indianer gibt.«
    »Indianer?« Cenks Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen.
    »Ja genau, Indianer. Ich habe mal was von einem IndianerKulturverein gelesen. Gehen Sie mal ins Internet und recherchieren Sie ein bisschen.«

6. Kapitel
    Er öffnet mir die Tür, ohne dass ich vorher angeklopft habe. Er ist nicht besonders groß, aber er hält sich sehr gerade. Man sieht, dass er gewohnt ist, lange Strecken zu Fuß zu gehen. Die weißen Haare sind zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden. Sein Gesicht ist nicht jung und nicht alt. Er hat vermutlich schon immer so ausgesehen wie jetzt: glatte, sonnengebräunte Haut, die sich über den hohen Wangenknochen spannt, intensive blaue Augen, schmale Lippen. Ein schönes Gesicht.
    An der Türklingel, die ich noch nie benutzt habe, steht ›Adler‹. Ist das sein bürgerlicher Name? Der Adler ist

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