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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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sein Totemtier, das weiß ich. Er hockt ausgestopft, mit weit ausgebreiteten Schwingen direkt über der Wohnzimmertür. Dieses Haus war früher einmal ein Haus wie viele andere in Deutschland. Vielleicht hätten sich meine Eltern auch ein solches Haus gebaut, wenn mein Vater nicht abgehauen wäre. So haben wir immer nur in zu kleinen Mietwohnungen gelebt. Aber wahrscheinlich wäre es mir auch in einem solchen Haus zu eng geworden, neben ihr. Ein solches Haus betritt man immer durch eine schlauchförmige Diele. Links neben der Eingangstür befindet sich das Gäste-WC, schräg darüber führt die Treppe in den ersten Stock. Die Küchentür rechts hinten hat eine Scheibe aus geriffeltem Glas. An der Schmalseite der Diele, direkt dem Eingang gegenüber, geht es ins Wohnzimmer. Wenn die Wohnzimmertür geöffnet ist, kann man auf die Terrasse schauen. Hätte ich auf einer solchen Terrasse im Sommer meine Hausaufgaben gemacht oder mit meinen Freundinnen die ersten Partys mit heimlichem Alkohol gefeiert? Fast sehe ich mich dort sitzen, ein kleines Mädchen mit heruntergerutschten Strümpfen und aufgeschlagenen Knien.
    Diese Häuser sind alle gleich und die Menschen, die in ihnen leben, ähneln sich auch sehr. Man kann die geringen Unterschiede zwischen ihnen lediglich an den verwendeten Baumaterialien feststellen. Helles Fichtenholz oder ein schmiedeeisernes Metallgeländer an der Treppe. Stofftapete oder Raufaser. Kinderspielzeug vor der Tür oder ein Schild ›Vorsicht, bissiger Hund‹.
    Nichts von alledem findet sich in Adlers Haus. Nur die saunaähnlichen Paneele an den Dielenwänden erinnern daran, dass früher einmal andere Menschen hier lebten. Ich nehme an, es war ein älteres Ehepaar. Wahrscheinlich war der Mann ein begeisterter Heimwerker. Jetzt ist alles anders. Adler und seine Frau haben das Haus vor zehn Jahren gekauft und seitdem ist es der Natur immer näher gekommen. Die Fenster stehen meist offen. Laub weht herein. Vor den Fensteröffnungen schaukeln reich verzierte Traumfänger im Wind. Die Traumfänger stellt Adlers Frau her. Sie hat geschickte Hände.
    Adlers Frau schweigt meistens. ›Eine Squaw muss schweigen‹, sagt er.
    Kultgegenstände schmücken die Wände. Trommeln, eine Maske, Tierbälge, an denen noch die Köpfe hängen. Leere Augenhöhlen, aufgerissene Mäuler. Sie zeigen mir ihre Zähne und Klauen.
    Auf dem Boden liegen Tierfelle und selbst gewebte Teppiche. Hier leben und schlafen sie. Die Küche ist rußgeschwärzt. Sie sind unabhängig von Öl, Gas und Strom. Sie sind autonom. Sie sind stark.
    Ich will auch stark werden.
    Ich betrete das Haus mit schmerzenden Füßen. Adlers Frau begrüßt mich mit einem Lächeln. Sie hält sich dabei die Hand vor den Mund. Vor einigen Wochen hat sie zwei Schneidezähne verloren und schämt sich. Sie ist jünger als Adler. Ihr langes, glattes Haar ist schwarz und fällt ihr bis auf die Hüften. Auch sie ist barfuß.
    Sie schweigt und lächelt.
    Ich setze mich auf ein Fell. Es gibt viel zu besprechen.

7. Kapitel
    Cenk saß wieder im Präsidium. Er hatte eine Liste mit Namen vor sich. ›Nachtwächter/Sicherheitsdienst‹ stand dort, ›W. Merten‹. Der Name war säuberlich abgehakt. Wolfgang Merten war nichts Erwähnenswertes aufgefallen.
    Der nächste Name lautete ›A. Özdemir, Reinigungsdienst‹. Reinigungskraft klang wesentlich besser als Putzfrau. Ayse, dachte Cenk. Sicher heißt sie Ayse und trägt ein Kopftuch. Wenn sie schlecht Deutsch kann, werde ich eben Türkisch mit ihr sprechen müssen. Danach kommen dann die Indianer dran.
    A. Özdemir betrat das Büro, ohne anzuklopfen.
    Eine große, kräftige Gestalt. Ein Mann.
    A. Özdemir hieß nicht Ayse und trug kein Kopftuch, sondern er hieß Adnan und sah aus wie jemand aus einer afghanischen Koranschule. Langer, gepflegter Bart, ein weißes Häkelkäppi auf den kurz geschorenen Haaren und ein kaftanähnliches Hemd, das er lose flatternd über der Hose trug. Sie gaben sich nicht die Hand.
    »Merhaba«, sagte Cenk und nach einer kaum wahrnehmbaren Pause, wie um sich zu korrigieren: »Guten Tag.«
    »Merhaba.« Adnan Özdemir deutete auf den freien Stuhl, der dem Schreibtisch gegenüber stand. »Darf ich?«
    »Sie arbeiten also als Raumpfleger hier im Museum?«
    Özdemir lachte schallend. »Warum so umständlich? Sagen Sie ruhig Putzmann zu mir, damit habe ich kein Problem. Übrigens bin ich Deutscher wie Sie.«
    Vorerst schien es sicherer, bei den Routinefragen zu bleiben. Vorname: Adnan.

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