Die vollkommene Lady
ein kleines Abenteuer aus war...“
„Nein“, gab Julia zu. „Dieses Haus und
seine Bewohner eignen sich nicht für ein Abenteuer. Ich wollte nur wissen, wie
Sie in dieses Haus gekommen sind.“
Sie stand auf, lächelte freundlich und
ließ ihn allein. Sie hatte ihm etwas zum Nachdenken gegeben und ihre Rolle der
Vertrauten lange genug gespielt. Aber trotzdem behielt sie nicht das letzte
Wort. Das letzte Wort, wenn auch unausgesprochen, behielt Bryan Relton.
Was das anbelangt, sagte sein Blick,
möchte ich wissen, wie Sie in dieses Haus gekommen sind?
9
J a, wie kam es nur? fragte sich Julia,
erst etwas unsicher, dann, als die Tage vergingen, mit einem geheimen und
belustigten Erstaunen. Denn es war ihr tatsächlich gelungen, hier Fuß zu
fassen: dieser mustergültige Haushalt, diese kleine Welt von höchst
wohlerzogenen Menschen betrachteten sie als zugehörig. Sie selbst kam sich mehr
wie ein Zuschauer vor, der unbeabsichtigt aus der Menge in das Gefolge eines
königlichen Zuges hineingerissen wird und es irgendwie fertigbringt, zwischen
einem Gesandten auf der einen Seite und einem Admiral auf der anderen nicht zu
unangenehm aufzufallen. Leicht war es natürlich nicht für sie; sie trank
niemals mit vollem Mund, sang nicht in der Badewanne und unterhielt sich immer
nur über unverfängliche Dinge mit einer leisen, damenhaften Stimme.
Entgleisungen kamen natürlich vor. Da
war zum Beispiel dieser schreckliche Morgen, an dem Claudia, das Hausmädchen,
eine Parfümflasche zerbrochen und sie, Julia, ihr gesagt hatte, was sie von ihr
dachte. Dem Mädchen machte das gar nichts aus — wahrscheinlich hatte sie nicht
die Hälfte davon verstanden —, aber Susans Gesicht, als sie an der offenen Tür
stehenblieb! Es hatte wie eine Maske ausgesehen, ein solcher Abscheu spiegelte
sich in ihrem weißen Antlitz wider; Julia und das Mädchen waren beide davor
zurückgeschreckt. Julia und das Mädchen auf der einen Seite— Susan auf der
anderen... der unglückliche Zuschauer war aus der Rolle gefallen. Und dann das
Parfüm selbst — trotz seines hohen Preises hatte es keinen großen Beifall
gefunden: als Julia es abends zum Essen gebraucht hatte, stand Susan unter
irgendeinem sehr höflichen Vorwand auf und öffnete ein Fenster...
Wenn Mrs. Packett der Gesandte war und
Bryan Relton der Admiral, so war Susan der Bischof, der voranging und sich nur
hin und wieder mißtrauisch umwandte. Aber nichtsdestoweniger hoffte Julia, sich
einigermaßen ehrenvoll aus der Affäre zu ziehen, wenn sie sich nur vorsichtig
bewegte und es vermied, dem Blick des Admirals zu begegnen.
*
Das Dorf Muzin war winzig — so winzig,
daß es weder eine eigene Kirche noch ein eigenes Schulhaus besaß. Es hatte
nicht einmal ein Postamt. Um Briefmarken zu kaufen und kirchliche oder
weltliche Unterweisung zu empfangen, mußten seine Bewohner anderthalb Meilen
bis zu dem nächstgrößeren Dorf Magnieu laufen. Belley, mit seinen Läden und
seinem Markt, seiner Kathedrale und seiner Kurpromenade, lag sogar noch weiter
weg — fast vier Meilen entfernt, und man konnte nur über eine Straße dorthin
gelangen, die zum größten Teil ohne Schatten war; so daß die Bewohner der Villa
von der anderen Welt völlig abgeschnitten waren. Immerhin, zweimal in der Woche
führte sie ein Mietauto in die Stadt, um Einkäufe zu machen, und bei dieser
Gelegenheit pflegte Susan, mit einer langen Liste von Anthelmine, der Köchin,
bewaffnet, ihr wundervolles Französisch bei den bewundernd zuhörenden
Geschäftsleuten auszuprobieren. Selbstverständlich wurde sie dabei von den
anderen Hausgenossen begleitet, und am zweiten Morgen nach ihrer Ankunft stand
Julia, die beim Frühstück von dem bevorstehenden Ausflug unterrichtet worden
war, bereits eine Viertelstunde zu früh mit dem Hut auf dem Kopf fertig da.
„So ungeduldig?“ fragte Bryan, als er
sie in der Veranda traf.
„Ich hasse Unpünktlichkeit“, erklärte
Julia. „Ich finde es so rücksichtslos.“
„Rücksichtslos, aber natürlich“,
ergänzte Bryan. „Wie so manches andere. Was wollen Sie denn in Belley
unternehmen? Mit Susan einkaufen gehen oder mit mir einen Bummel durch die
Lokale machen?“
„Oder wenn du etwas für alte Bauten
übrig hast“, rief Susan von der Tür her, „da gibt es die Kathedrale, wenn auch
nicht sehr interessant, und einen wirklich bezaubernden Klosterhof und ein
berühmtes altes Tor. Großmutter kann ja nicht viel gehen, aber ich würde dir
gern
Weitere Kostenlose Bücher