Die vollkommene Lady
Hosentaschen, schlenderte ihr nach, nahm die schlechten Strecken
in langen Sätzen und verweilte gemächlich, wenn der Weg glatt und eben war. Was
für ein entzückendes Paar, dachte Mrs. Packett; sie hatte diese Worte gerade in
ihrem Brief an Sir William geschrieben.
„Meine Schwiegertochter“ — fuhr die
alte Dame in ihrem Schreiben fort — „scheint ihn auch gern zu haben, obwohl sie
mit ihrer Meinung sehr zurückhält, und ich glaube, sie stimmt mit mir darin überein,
daß Susan noch zu jung ist. Es hat sich alles sehr harmonisch entwickelt. Wie
Sie wissen, sah ich Julias Kommen mit Besorgnis entgegen, aber ich freue mich,
Ihnen sagen zu können, daß ich ihr unrecht tat. Ich bin sicher, daß es Ihnen
beiden gelingen wird, Susan zur Vernunft zu bringen. Ich möchte so gern, daß
Sie sich mit Julia verstehen werden, und da ich ihre Vorurteile kenne, möchte
ich Sie bitten, sich nicht an ihrer Erscheinung zu stoßen, die vielleicht ein
bißchen zu .blühend’ ist. Es ist wirklich sehr angenehm, sie um sich zu haben,
und sie ist sehr liebenswürdig. Sie scheint sich an diesem doch so ruhigen Ort
durchaus wohl zu fühlen, und ich habe den Eindruck, daß sich noch alles zum
besten wenden wird. Wenn ich jetzt ein paar Jahre weiterdenke und Susan
verheiratet sehe und mit Kindern, meinen Urenkeln, und Julia in ihrer netten
kleinen Konditorei, wo ich sie öfters besuchen werde, kann ich nur sagen, daß
ich eine sehr glückliche alte Frau bin.“
Das war Mrs. Packetts Ansicht von der
gegenwärtigen Situation; und durch einen eigenartigen Zufall war die
liebenswürdige Julia, nachdem sie ihre Augen getrocknet und sich die Nase
geputzt hatte, zur selben Zeit ebenfalls damit beschäftigt, diese selbe
Ansicht, allerdings einem ganz anderen Empfänger, mitzuteilen.
*
„Lieber Fred“, schrieb sie. „Ich danke
Dir für Deine Karte, obwohl ich Dir sagen muß, daß ich sie ein bißchen
gewöhnlich fand, aber ich weiß, Du hast es gut gemeint. Hier ist es
wunderschön, ein großes Haus, ein riesiger Garten und ein dazugehöriger
Weinberg, von dem man überall die herrlichste Aussicht hat. Meine Tochter ist
das bezauberndste Mädchen, das Du Dir vorstellen kannst, ganz hellblond und so
gut erzogen und zu mir als Tochter, wie ich es mir gewünscht habe. Ich erhole
mich hier wirklich sehr gut und genieße es sehr. Wie geht es Ma? Die gute alte
Seele, sie war noch so übel dran, als ich abreiste. Ich denke oft an Euch alle
und hoffe, daß Ihr recht viel Erfolg habt und den Beifall, den Ihr verdient.
Herzlichst
Deine Julia Packett.
PS. Bitte, schicke mir keine solchen
Postkarten mehr, Fred. Wir haben hier französische Dienstboten im Hause, und Du
weißt ja, was die für eine schmutzige Phantasie haben. D. O.“
Als sie geendet hatte, suchte sie seine
Visitenkarte heraus und adressierte den Umschlag sowohl an das Casino Bleu wie
an sein Haus in Maida Vale. Sie hatte keine französischen Briefmarken, aber sie
wußte, daß Susan und Mrs. Packett welche in Heftchen in der
Schreibtischschublade im Billardzimmer aufbewahrten.
Julia verließ ihr Zimmer, und auf dem
Flur blieb sie stehen. Konnte sie sich einfach eine Marke nehmen, oder mußte
sie das Geld dafür hinlegen? Eine Dame — dachte Julia — würde das zweifellos
tun. Sie ging zurück und holte ihre Handtasche. Als sie sie im Billardzimmer
öffnete, machte sie die peinliche Entdeckung, daß ihr nach dem Abschicken des
Briefes an Fred Genocchio nur noch fünf Francs blieben.
Zum erstenmal in ihrem Leben ließ ihr
Mut sie im Stich. Ohne Geld in London — eine Kleinigkeit, selbst in Paris, wo
es so viele Engländer und Amerikaner gab, wäre sie nicht so leicht verzweifelt;
aber hier unter den Packetts war es eine Katastrophe! Es gab ihr einen Stoß,
daß ihr die Knie wankten. Sie ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen, ihre
Tasche noch offen auf ihrem Schoß, und versuchte, sich mit dieser verheerenden
Tatsache auseinanderzusetzen.
Sie hatte sich das natürlich längst
denken können. Wenn sie doch eher daran gedacht hätte! Aber sie hatte alles nur
darangesetzt, überhaupt hierherfahren zu können, und war so unfähig gewesen,
weiter als eine Woche vorauszudenken, daß — nun, daß sie es eben nicht getan
hatte. Und selbst wenn, von wem hätte sie sich schon etwas leihen können? Oder
— um mehr zur Sache zu kommen — von wem konnte sie jetzt etwas borgen?
Unwillkürlich schüttelte Julia den Kopf. Da die Quellen schon versiegt gewesen
waren, als
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