Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
Vom Netzwerk:
gerade durch den Kopf ging, und da ihre Gedanken sich gegenwärtig vorwiegend
um Julias Konditorei drehten, verbreitete sie die Nachricht von diesem Plan in
Windeseile nach allen Himmelsrichtungen.
    „Ich nehme an, daß sie in Kensington
eröffnet wird“, schrieb Mrs. Packett an eine angeheiratete Kusine in
Australien. „Susan hat mir nämlich erzählt, daß sehr viele Leute dort gezwungen
sind, in kleinen Mietwohnungen zu leben. Julia ist sich darüber noch nicht ganz
klar, aber wir werden uns alle gründlich umsehen, wenn wir wieder in London
sind. Verstehst Du, ich versuche Dich nicht zu ködern, dazu lebst Du ja zu weit
weg, aber wenn Du zurückkommst, verspreche ich Dir, Dich zu einer Tasse Tee...“
    Das einzige Ereignis dieses Morgens war
die Ankunft einer zweiten Postkarte von Fred Genocchio. „Freut mich, daß Du
Dich dort so wohl fühlst, alles Gute, Fred“, schrieb er. Aber was Julia vor
allem rührte, war die Ansicht der Notre Dame. Das Bild sah so anständig und
vornehm aus, daß Julia die Karte in der Halle liegen ließ, in der Hoffnung, daß
Susan sie entdecken würde. Da Susan sich nicht darüber äußerte, holte Julia die
Karte wieder und zeigte sie Mrs. Packett. Die alte Dame bewunderte sie sehr,
drehte sie in der Meinung, sie sei an sie gerichtet, um und las den Text. „Fred?“
sagte sie fragend. „Doch nicht etwa Fred Trevelyan?“
    „Sie ist an mich“, sagte Julia hastig, „von
einem meiner Freunde.“ Unwillkürlich sah sie sich bei diesen Worten nach Sir
William um, ob er wohl etwas gehört habe. Das brachte sie so sehr gegen sich
selbst auf, daß sie auf ihr Zimmer ging und sich den Regen von da aus
betrachtete.
    Gegen vier Uhr kam Bryan aus dem
Pförtnerhaus und beklagte sich über seinen Lunch, der nur aus ranzigem Käse
bestanden habe. „Warum bist du denn nicht einfach hergekommen?“ fragte Susan,
die sich nach ihrem Sechsmeilen-Spaziergang in einer freundlichen, gefälligen
Stimmung befand, die den anderen Hausbewohnern merklich auf die Nerven fiel.
    „Weil ich nicht naß werden wollte“,
antwortete Bryan und schüttelte die Regentropfen von seinem Mantel. „Wenn ich
auch Engländer bin, bin ich doch nicht verrückt.“
    „Es regnet jetzt ebenso heftig“,
stellte Susan fest. „Willst du vielleicht ein heißes Bad nehmen?“
    „Nein, ich will nicht vielleicht“,
sagte Bryan. „Und außerdem regnet es jetzt so gut wie gar nicht mehr.“
    Danach spielten sie stundenlang Bridge,
bis Mrs. Packett die freimütige Betrachtung anstellte, daß dieses Spiel die
Laune auch nicht gerade verbessere. Danach gingen sie alle zu Bett. Julia warf
einen Blick auf ihr rosaseidenes Nachthemd, das sie die letzten Nächte in
Erwartung eines Gewitters getragen hatte, dann warf sie es wieder in die
Schublade und zog ein Paar Flanellpyjamas an.
     
    *
     
    Um drei Uhr mit dem Glockenschlag
rollte der erste ferne Donner über die Hügel und verklang wieder. Der nächste
Schlag entlud sich bereits direkt über dem Haus, und ein leuchtender Blitz
erhellte die Fenster. Julia erwachte, ohne genau zu wissen, was eigentlich
geschehen war, lag eine Weile mit offenen Augen ruhig da und wunderte sich über
die Stille. Der Regen hatte beinahe aufgehört, nicht eine Grille ließ sich mehr
vernehmen.
    Julia erhob sich, um aus dem Fenster zu
sehen, aber sie befand sich noch nicht in der Mitte des Zimmers, als der Donner
von neuem losbrach. Sie erstarrte fast vor Angst. Sie vergaß völlig, daß sie im
Pyjama war, sie dachte nur daran, möglichst schnell menschliche Gesellschaft
aufzusuchen, und lief zur Tür und auf den Flur. Dort fühlte sie sich sicherer,
der Gefahr weniger ausgesetzt, denn das einzige Fenster war zu, und die Läden
waren dicht. Julia blickte auf die gegenüberliegende Tür und überlegte sich, ob
Sir William wohl fortgeschwemmt worden sei. Auf jeden Fall schien er nichts
dagegen zu unternehmen, das ganze Haus lag still. Die machen sich nichts draus,
dachte Julia voller Mitleid mit sich selbst. Die würden sich auch nichts draus
machen, wenn ich vor Angst sterbe!
    Noch nie, selbst nicht an dem Morgen
ihrer Ankunft in der Badewanne, war sie sich so verloren, so vollkommen allein,
so fremd in diesem gastlichen Hause vorgekommen. Sie machte ein paar Schritte
auf die Tür von Mrs. Packetts Zimmer zu und blieb dann wieder stehen. Diese
alte Frau mit ihren Nerven aus Stahl schlief wahrscheinlich fest und tief, und
falls sie wach war, vertrieb sie sich bestimmt die Zeit damit, sich Rezepte

Weitere Kostenlose Bücher