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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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Pantomime?“ fragte Sir
William. „Pantomime. Als ich sehr klein war, spielte meine Mutter die
Colombine, und manchmal wartete ich in der Garderobe auf sie. Und einmal, ich
weiß nicht mehr, warum, weinte ich über irgend etwas, und der Clown kam herein
und nahm mich auf seinen Schoß und sang mir das von der Muskatnuß vor. Es hat
Jahre gedauert, bis ich herausfand, daß der Vers nicht von ihm selbst war.“
    „Und machte das Liedchen Ihre Tränen
versiegen?“
    Julia zögerte. Da Sir William aus
irgendeinem Grund den Vers offenbar sehr hoch schätzte und sie ihrerseits Sir
William sehr hoch schätzte, hätte sie seine Frage gern bejaht, aber ihr
Gewissen ließ es nicht zu.
    „Ich weiß nicht“, gestand sie, „ich
hörte zwar auf zu weinen, aber wohl mehr wegen seiner bunten Kugeln und Bälle.
Er ließ mich damit spielen, auch mit seiner Narrenpeitsche.“
    „Ein Clown, der Kinderlieder singt“,
sagte Sir William nachdenklich. „Sie müssen Susan wunderschöne Geschichten
erzählt haben.“
    Julia sah geradezu entsetzt aus. Susan
Geschichten erzählen, in denen ihre Großmutter als Colombine figurierte? Das
fehlte noch! Gott sei Dank war Susan nicht neugierig. Aber sollte diese Frage
jemals aufgeworfen werden, würde sie Julia nicht unvorbereitet treffen, sie
hatte sich ihre Antwort darauf seit langem überlegt: „Deine Großmutter
mütterlicherseits, Liebes, war die Tochter eines Geistlichen.“ Was durchaus
möglich war, da Julia nie von ihrem Großvater hatte sprechen hören; wenn sie
daher auch nicht wissen konnte, ob er ein Geistlicher gewesen war, so wußte sie
doch ebenfalls nicht, daß er keiner gewesen sei...
    Laut sagte sie fast schroff: „Ich habe
Susan überhaupt nichts erzählt. Ich nehme an, Sie wissen, daß ich mich kaum um
sie gekümmert habe.“
    „Wenn Sie es getan hätten“, sagte Sir
William, „würden Sie wohl beide nicht das geworden sein, was Sie jetzt sind.“
Und unvermittelt und völlig sinnlos sprach er die letzten Worte des Liedchens
wieder vor sich hin:
    „...eine Muskatnuß aus Silber und eine
Birne aus Gold.“
    „Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken“,
sagte Julia, noch etwas verstört, „aber ich sterbe vor Durst.“
     
    *
     
    Es hätte eines stärkeren Getränks
bedurft als Mineralwasser — was anderes bekam sie nicht — , um ihr Gleichgewicht
wiederherzustellen. Sie hatte Sir William auf seinem Spaziergang einzig zu dem
Zweck begleitet, um einen guten Eindruck auf ihn zu machen. Weshalb hatte sie
dann nur plötzlich angefangen, von Clowns und Theatergarder oben zu reden? Warum in aller Welt
mußte sie angesichts der herrlichen Gegenwart, die ihr doch wahrhaftig genug
einwandfreien Gesprächsstoff bot, die Sprache auf ihre höchst zweifelhafte Vergangenheit
bringen? Denn von allein wäre er niemals darauf gekommen, dachte Julia
überzeugt. Wenn sie geschwiegen hätte, würde er sie noch immer für eine
wirkliche Dame halten.
    Bedrückt setzte sie sich zum Essen
nieder. Die Mahlzeit verlief genau so unerfreulich wie am Tag vorher — nur mit
dem Unterschied, daß Julia sich nicht nur langweilte, sondern auch nervös war.
Sie hatte eine schreckliche Angst, daß Sir William irgend etwas von Clowns oder
einer Colombine erwähnen oder sie womöglich direkt nach ihrer Kindheit fragen
würde; und tatsächlich waren seine Versuche, sich mit ihr zu unterhalten,
beängstigend häufig. Aber Julia ging auf nichts ein. Sie lehnte es sogar ab,
sich in ein Gespräch über Galsworthy verwickeln zu lassen. Galsworthy hatte
auch für die Bühne geschrieben, und im Theater gab es Pantomimen, und Julia
wollte kein Risiko eingehen. Nach einer Weile gab Sir William es auf und
widmete sich statt dessen der alten Dame. Daraufhin atmete Julia etwas freier,
und als Claudia nach dem Fleischgang die Teller auswechselte, hatte sie wieder
genügend Sicherheit und ebenfalls genügend Appetit erlangt, um sich bei Susan
zu erkundigen, was es zum Nachtisch gäbe.
    „Harlequins“, erwiderte Susan lächelnd.
    Julia stutzte. Zunächst war sie
verblüfft, dann fuhr ihr plötzlich ein entsetzlicher Gedanke durch den Kopf,
und sie fühlte sich bitterlich enttäuscht. Er konnte doch nicht — konnte doch
nicht Susan schon etwas gesagt haben?
    Susans nächste Worte bewiesen ihr, daß
er es nicht getan hatte.
    „Der französische Ausdruck für Reste,
Onkel William, es tut mir leid, daß es heute nichts gibt als nur die Torte von
gestern und etwas Rahmkäse.“
    Julia vernahm es, begriff und

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