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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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fühlte
ihr Herz wieder gleichmäßig schlagen. Aber ihre Sicherheit geriet noch einmal
ins Wanken, denn im selben Augenblick begegnete sie Sir Williams Blick.
     
     
     

15
     
    J ulias Rolle der jungen Mrs. Packett
begann sich nun weitaus schwieriger zu gestalten als bisher. Es war von Anfang
an nicht leicht gewesen, sich einem Bryan, der immer das falsche Stichwort gab,
einer Susan, der auch nicht der kleinste Fehler entging, und einer
Schwiegermutter, die beständig irgendwelche geheimen Pläne schmiedete,
gegenüber zu behaupten. Aber die Anwesenheit Sir Williams machte — wie Julia
plötzlich bemerkte — alles noch zehnmal schlimmer. Er war so gefährlich wie
Bryan, beobachtete genau so scharf wie Susan und würde sich sehr wahrscheinlich
auch für das Projekt einer Konditorei interessieren. Und um dem allen die Krone
aufzusetzen, war Julia sehr von ihm angetan.
    Natürlich, dachte Julia trübsinnig.
    Zum ersten Male in ihrem Leben empfand
sie bei der Aussicht auf ein neues Herzensabenteuer — mit seinen köstlichen
Schwankungen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, dem reizvollen Anwachsen einer
Vertrautheit und den kaum weniger aufregenden Hindernissen — keinerlei
Vergnügen. Sie hatte jetzt keine Zeit dafür. Sie brauchte ihre ganze
Geistesgegenwart, ihre ganze Energie, um nur ihre Rolle einigermaßen
durchzuführen. Sie wußte, es blieb ihr nichts übrig, als zu versuchen, Sir
William mit den anderen in einen Topf zu werfen und darauf zu verzichten, seine
persönliche Aufmerksamkeit zu erregen. Wenigstens hatte sie nichts mehr von ihm
zu befürchten — mochte er sie auch noch so oft auf einer Entgleisung ertappen
wie Bryan, er würde es nicht ausnutzen. Und wahrscheinlich würde er sie jetzt,
nachdem das allgemeine gute Einvernehmen hergestellt war, gar nicht weiter
besonders beachten.
    Unglücklicherweise hatte Julia aber das
Gefühl, daß sie es nicht ertragen würde, überhaupt nicht von ihm beachtet zu
werden.
    Als ob es sich ihrer Verstimmung
anpassen wollte, schlug das Wetter jetzt endgültig um. Julia blickte in den
strömenden Regen hinaus, und einen Augenblick lang genoß sie die allgemeine
Depression. Dann wandte sie sich unwillig ab. Jetzt würden sie alle drinnen
bleiben und noch dichter beisammen hocken müssen als bisher. Kein Ort wäre der
Entwicklung einer Liebesbeziehung so förderlich wie ein Landhaus an einem
Regentag, hatte ihr jemand mal gesagt, und die eine Seite ihres Dilemmas hatte
sich entsprechend zugespitzt. Um ihm auszuweichen, hätte sich Julia
unverzüglich auf eine Fußwanderung in die Sahara begeben. Dann schloß Sir
William sich mit einem Berg von Papieren in sein Zimmer ein, und Julia betete
um schönes Wetter, damit er wieder zum Vorschein käme. Sie konnte sich nicht
erinnern, sich jemals derart unbehaglich gefühlt zu haben; und es regnete immer
weiter.
    Es regnete ununterbrochen. Anthelmine,
die unter einem riesigen Schirm aus dem Dorf heraufgestapft kam, verkündete,
daß dieses Schandwetter noch anhalten werde. Da der Schirm trotz seines
ungewöhnlichen Umfanges nicht groß genug für sie war, war sie schlechter Laune,
was man dem Abendessen deutlich anmerkte.
    Es regnete die ganze Nacht über und
regnete den ganzen nächsten Tag. Man konnte auch im Hause bei geschlossenen
Fensterläden keinen Augenblick vergessen, daß es regnete. Der Anblick des
Regens ließ sich wohl ausschließen, nicht aber das Geräusch. Zu dem
fortwährenden Getrommel der Regentropfen auf das Laub fügten die
unbezwinglichen Grillen ihr Zirpen hinzu. Niemand verließ das Haus außer Susan,
die einen Gummimantel anzog und einen langen Spaziergang unternahm. Bryan
verbarg sich in seinem Pförtnerhäuschen, Sir William blieb in seinem Zimmer,
bis das Wasser durch das Dach tropfte, und ging dann in die Halle, wo er Julia
antraf, die jedoch gerade ihre „Widerstandslaune“ hatte. Sie flüchtete sofort
in ihr Zimmer und riegelte sich ein; und Sir William zog sich in das
Billardzimmer zu Mrs. Packett zurück.
    Die alte Dame fand sich besser mit dem
Wetter ab als die anderen, denn sie konnte stets auf ihre
Lieblingsbeschäftigung zurückgreifen. Wann immer sie sonst gerade nichts zu tun
hatte, schrieb sie Briefe. Sie war niemals um Stoff verlegen, und ihr
Bekanntenkreis war unerschöpflich. Sie brauchte nichts als Papier und Tinte;
und das Ergebnis ähnelte in gewisser Hinsicht dem Machwerk eines Schnellmalers.
Sie schrieb zwar flüssig, jedoch etwas wirr. Sie brachte alles zu Papier, was
ihr

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