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Die vollkommene Lady

Die vollkommene Lady

Titel: Die vollkommene Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margery Sharp
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Aber ein
Brief hätte eine Antwort zur Folge haben können, oder Mr. Rickaby wäre
womöglich selbst aufgetaucht, und beides schien ihr gleich unerwünscht.
Schließlich nahm sie ihren Federhalter und schrieb einfach: „Von einem
Wohlgesinnten“ — und ihre Feder fügte von sich aus ein paar Kreuze hinzu. Dann
leckte sie den Umschlag zu. Unglücklicherweise sah sie sich genötigt, eine von
Susans Briefmarken zu stehlen.
    Der Zweck heiligt die Mittel, dachte
Julia unbekümmert.
    Der Tag war sehr heiß, aber als letzte
Buße beschloß sie, nach Magnieu zu wandern, um die Post noch zu erreichen.
    Das Dorf lag wie ausgestorben in der
blendenden Sonnenglut da. Die Einwohner waren alle auf den Feldern, nur das
Geflügel war zurückgeblieben und hütete die Häuser. Hühner und Enten wanderten
von Tür zu Tür und statteten sich nachbarliche Besuche ab. In einem Korb vor
dem Hause des Tischlers schliefen fünf bunte Kätzchen. Ihre kohlschwarze Mutter
lag faul auf dem Fensterbrett über ihnen und hielt nur das eine ihrer gelben
Augen wachsam auf die Jungen gerichtet. Es war alles ganz ruhig — so ruhig, daß
Julia instinktiv ihre Schritte zu dämpfen suchte und sich bemühte, auf das
herumliegende Stroh zu treten, das sogar im Schatten noch den Sonnenschein
widerzuspiegeln schien; aber weder Katzen noch Geflügel würdigten sie eines
Blickes.
    Sie überquerte den Platz mit dem
Brunnen und schlug den Weg nach Magnieu ein. Es war ebenso ausgestorben wie das
Dorf, und bevor Julia noch sehr weit gekommen war, hatte sie schon das Gefühl,
daß sie der einzige Mensch sei, der sich über die ganze Landkarte von
Frankreich bewegte. Das Gefühl war ihr durchaus unangenehm; sie hatte eine
Abneigung dagegen, mit so viel Leidenschaft allein zu sein. Zu ihrer Rechten,
jenseits des Feldes, erhob sich ein großer, von Bäumen bewachsener Felsen
leuchtend grün gegen den leuchtend blauen Himmel. Beide Farben waren so grell
und so eintönig, als seien sie von einem Kind mit seinem neuen Tuschkasten
gemalt. Zu ihrer Linken erstreckte sich das Ackerland, vielfarbig zwar, aber
durch die Sonne aller zarteren Tönungen beraubt. Julias Sinn für Bühnenwirkung
vermißte ein oder zwei anständige Wolken am Horizont, zum mindesten hätte sie
gern ein paar interessantere Lichteffekte gesehen. Sie heftete ihren Blick
entschlossen auf die Pappelreihe, die weiter vorn die Eintönigkeit des
schattenlosen Weges zu unterbrechen versprach.
    Bevor sie sie aber erreicht hatte,
wurde die Eintönigkeit auf eine andere Art und Weise unterbrochen. Dicht neben
sich auf der anderen Seite der Hecke hörte sie plötzlich ein Rascheln, dann ein
leises Lachen, eine erzürnte weibliche Stimme; und durch das nächste Gattertor
lief ein Bauernmädchen. Sie hatte das hübsche Gesicht der Einheimischen — zarte
weiße Haut, blaue Augen und die weniger schöne Figur aller Frauen dieser
Gegend. Als sie Julia sah, zögerte sie einen Augenblick und lief über den Weg
in das Feld auf der anderen Seite. Julia setzte ihren Weg fort und kam gerade
in dem Augenblick an der Pforte an, als Bryan Relton darin erschien.
    „Mein Gott!“ sagte Julia.
    Geistesgegenwärtig drehte er sich um
und zeigte mit einer großartigen Geste auf den grünen Felsen. „Tolle Aussicht“,
sagte er, „aber verdammt heiß.“
    „Sie haben das Mädchen da geküßt“,
sagte Julia ihm auf den Kopf zu.
    „Mädchen?“
    „Ja, die, die eben hier herausgelaufen
kam. Mich können Sie nicht mit einer schönen Aussicht beschwindeln.“
    Bryan grinste. „Recht haben Sie,
teuerste Julia, Sie haben immer recht. Aber ich konnte es nun einmal nicht
lassen; ich hatte noch niemals eine Schäferin geküßt.“
    Diesen Einwand konnte Julia sehr wohl
verstehen; sie dachte jedoch an Susan und runzelte die Stirn. „Sie sollten so
etwas nicht tun“, sagte sie streng. „Wie war es denn?“
    „Mäßig“, sagte Bryan, neben ihr
hergehend. „Jedenfalls hat es auch sein Gutes, es mal versucht zu haben; diese
Sorte Mädchen werde ich bestimmt nicht wieder küssen wollen.“
    „Sie sollen überhaupt keine anderen
Mädchen küssen wollen außer Susan.“
    „Tue ich auch nicht, wenigstens
theoretisch nicht.“
    „Susan erwartet von Ihnen, daß Sie
zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied machen.“
    „Dafür ist Susan ja auch vollkommen und
ich nicht.“
    „Das weiß ich“, sagte Julia. Sie hielt
inne. „Vielleicht hätte ich Ihnen erzählen sollen, daß ich Ihren Vater kannte.“
Bryan starrte sie an.

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