Die Wächter von Jerusalem
runzelte die Stirn.
»Es muss etwas geschehen«, sagte Meleachim leise, damit die anderen Gäste ihn nicht hören konnten. »So etwas darf nicht wieder vorkommen. Diesen Leuten muss Einhalt geboten werden, ehe es zu spät ist.«
»Meinen Segen hast du«, brummte der Wirt. »Was willst du tun?«
»Ich gehe zu den Janitscharen und werde ihnen davon berichten «, erklärte Meleachim. »Das hätte ich bereits vor Monaten tun sollen.«
»Schick sie zu mir, wenn sie etwas wissen wollen«, sagte er, während er mit einem nicht besonders sauberen Lappen einen der Becher trocken wischte. »Ich kann die beiden Kerle gut beschreiben . Elendes Gesindel.«
Meleachim grüßte und machte sich auf den Weg zur Kaserne der Janitscharen. Und mit jedem Schritt war er sicherer, dass er diesmal das Richtige tat.
Cosimo sah zu, wie die Diener die Speisen auf den Tisch stellten . Es war ein einfaches, schlichtes Mahl, kulinarisch nicht im Entferntesten zu vergleichen mit jenen Mahlzeiten, die er bereits im Hause des Ölhändlers Ben Joshua eingenommen hatte; opulente Feste mit allen Köstlichkeiten, die Jerusalem zu bieten hatte, inklusive Musik, Gauklern und wunderschönen , erstaunlich biegsamen Tänzerinnen. Heute hingegen gab es nur mit wenig Salz und wilden Kräutern gewürztes, über dem Feuer gebratenes Lamm und dazu im Feuer gebackene Brotfladen. Und anstelle der üblichen Gäste aus der feinen Jerusalemer Gesellschaft war jetzt nur die Familie des Ölhändlers anwesend – seine Söhne mit ihren Frauen, die noch unverheirateten Töchter und natürlich die zahlreichen Enkelkinder. Der mit hölzernen Tellern und Bechern gedeckte Tisch stand im Garten des Hauses unter einem Ölbaum. Ein leichter Wind strich durch die Zweige, Schafe, Ziegen und Hühner liefen um sie herum und ließen sich blökend, meckernd und gackernd von den lachenden Kindern jagen, wenn sie nicht gerade ihren Hunger mit dem dichten harten Gras stillten, das hier überall im Überfluss wuchs. Es duftete nach dem Lagerfeuer und nach gebratenem Fleisch.
Cosimo schloss die Augen und dachte an sein Weingut in der Nähe von Florenz. Einmal im Jahr, nachdem die Trauben geerntet worden waren und der neue Wein in seinen Fässern zu reifen begann, hatte er mit seinen Arbeitern zusammen gefeiert . Dann hatten sie auch eine lange Tafel unter die Olivenbäume gestellt, Feuer angezündet und in den Flammen Ferkel, Hühner und Enten an langen Spießen gebraten. Es war beinahe wie hier gewesen. Beinahe …
»Cosimo, verehrter Freund, ist Euch nicht wohl?«
Sein Gastgeber stieß ihn behutsam an.
Cosimo schlug die Augen auf und lächelte. Die Menschen hier in Jerusalem – insbesondere der Ölhändler Ben Joshua – waren freundlich, herzlich und aufgeschlossen. Sie hatten ihn in den Kreis der Kaufleute aufgenommen und behandelt, als würde er bereits seit Generationen in dieser Stadt leben. Dennoch ließ sich das Gefühl des Fremdseins nicht ganz vertreiben .
»Keineswegs, Elias, keineswegs. Ich wurde nur gerade an meine Heimat erinnert.«
Heimat? Meinte er etwa Florenz, die Stadt, in der die Leute tuschelten, wenn sie ihm begegneten? Die Stadt, in der man mit dem Finger auf ihn zeigte, ihn gesellschaftlich ächtete und seine eigene Familie sich überlegt hatte, ihn für immer in eine jener schrecklichen Anstalten zu schicken, in denen all jene ein kümmerliches Dasein fristeten, die den feinen Bürgern unbequem und lästig geworden waren? Meinte er tatsächlich die Stadt, in der ein Maler wie Leonardo da Vinci denunziert wurde, weil er sich nicht dazu entschließen konnte zu lügen und einer Frau seine Liebe vorzuheucheln?
Genau diese Stadt meinte er. Florenz. Sie war schmutzig und heruntergekommen in den letzten Jahren, und dennoch … Wenn er an die Kuppeln des Domes dachte, die Straßen, Santa Maria Novella, so zog sich sein Herz zusammen. Er wusste genau , dass sein Aufenthalt in Jerusalem nichts anderes war als eine vorübergehende Episode. Er würde nach Florenz zurückkehren – sobald die Zeit es zuließ.
»Meine Familie besitzt dort ein Weingut«, fuhr Cosimo fort und beschrieb mit seinem Arm einen großen Kreis. »Es ist dort beinahe wie hier in Eurem Garten.«
Elias nickte. »Ja, ich kann Euch verstehen, verehrter Freund. Wie Ihr vielleicht wisst, hat mein Volk im Laufe seiner Geschichte oft und lange Zeit in der Fremde leben müssen , fern der Heimat, weit fort vom Gelobten Land. Allein der Glaube an Jahwe, unseren Gott, und die Erinnerung an dieses Land
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