Die Wächter von Jerusalem
das Pferd an. Trotzdem ging die Sonne bereits unter, als er – schweißgebadet und vor Anstrengung kaum weniger keuchend als sein Pferd – endlich die Stadtmauern von Jerusalem vor sich auftauchen sah.
Die Wachfeuer auf den Türmen brannten bereits. In ihrem flackernden Schein konnte er die Janitscharen erkennen, die auf und ab gingen und aufmerksam jeden beobachteten, der sich den Toren der Stadt näherte. Jetzt endlich zügelte Cosimo sein Pferd und verlangsamte seinen Schritt. Er war nicht erpicht darauf , die Aufmerksamkeit der Janitscharen mehr als unbedingt nötig auf sich zu ziehen. Sie waren zwar nur die Wächter von Jerusalem, aber dennoch betrachteten sie die Stadt und alles, was darin lebte, als ihr Eigentum. Und sie konnten sehr unangenehm und lästig werden. Man erzählte sich, dass sie fremde Reisende, die ihnen nicht ausreichend Respekt entgegengebracht hatten, für ein paar Tage in den Kerker warfen, bevor sie dann endlich einen der hohen Beamten des Sultans verständigten . Nicht dass Cosimo sich davor gefürchtet hätte. Er hatte keine Angst vor dem Kerker. Doch wenn die Janitscharen ihn jetzt aufhielten, wenn er stundenlang von ihnen verhört wurde und so wertvolle Zeit verlor, konnte Anne bereits fort sein, bevor er sein Haus erreicht haben würde. Dann konnte er sie nicht mehr sprechen. Dann wäre sein eiliger Aufbruch und sein halsbrecherischer Ritt umsonst gewesen.
Die Säbel und Lanzen der Wächter, die nahezu unbeweglich zu beiden Seiten des Tores standen, funkelten bedrohlich im Schein der Abendsonne. Langsam ritt Cosimo auf das Tor zu. Sofort trat ihm einer der Janitscharen in den Weg und hob die Hand.
»Halt!«, rief er. Doch seine Stimme klang keineswegs unfreundlich . Er war noch ziemlich jung. Vielleicht ließen ihn nur sein helles Haar und die blauen Augen weniger grimmig und missgelaunt erscheinen als seine dunkelhaarigen Kameraden . Vielleicht war er aber auch wirklich harmlos. Cosimo schöpfte Hoffnung.
»Friede sei mit Euch«, sagte er und neigte höflich den Kopf.
»Ebenso mit Euch«, erwiderte der Wächter, und auf seinem müden Gesicht erschien sogar die flüchtige Spur eines Lächelns .
Na also, dachte Cosimo und atmete erleichtert auf. Du hast dir unnötig Sorgen gemacht. Gleich wird er dich vorbeiwinken , und dann bist du in wenigen Augenblicken zu Hause bei Anselmo und Signorina Anne. Anselmo. Hoffentlich hatte er Anne nicht schon zu viel erzählt. In seinem Alter sollte man eigentlich weiser und vorsichtiger sein, und trotzdem war Anselmo manchmal ebenso ungestüm wie damals als junger Mann. Ob er Anne schon erzählt hatte, dass …
Cosimo war so in seine Gedanken vertieft, dass er nicht merkte, dass das Lächeln vom Gesicht des jungen Janitscharen verschwunden war und sich stattdessen eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen gebildet hatte. Er ergriff die Zügel und tätschelte dem Pferd den schweißnassen Hals.
»Seid Ihr in Eile?«, fragte er, und der Ton seiner Stimme ließ Cosimo aufhorchen.
»Ja, in der Tat, Ihr habt es erraten«, entgegnete er rasch und versuchte seine zerfetzten Hosenbeine irgendwie vor den forschenden Blicken des Soldaten zu verstecken. Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Weshalb war er nicht vorsichtiger gewesen? Jedes Kind in Jerusalem wusste doch, dass die Janitscharen unberechenbar waren, dass ihre Stimmung von Atemzug zu Atemzug wechseln konnte. Jetzt konnte ihm nur noch eines helfen – so dicht wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben und zu hoffen, dass das diesen Janitscharen von seiner Harmlosigkeit überzeugen würde. »Ich habe Nachrichten erhalten , die meine Anwesenheit in der Stadt dringend erforderlich machen.«
»So«, erwiderte der Janitschar, während seine Hand am linken Vorderbein des Pferdes nach unten glitt und er es anhob . Cosimo konnte nicht genau sehen, was er machte, doch das Pferd schnaubte. Dann ließ der Soldat das Bein wieder los, und sein Blick wanderte prüfend über das Pferd, dem der Schaum in großen Flocken vom Maul tropfte. »Wie ist Euer Name?«
Cosimos Herz begann heftig zu klopfen. Dieses Gespräch wurde zunehmend unangenehm. Die Stimme des Soldaten war eisig geworden. Von seiner anfänglichen Freundlichkeit war nun nichts mehr zu spüren.
»Mein Name ist Cosimo de Medici«, antwortete er in würdevollem Ton. »Ich bin Kaufmann und führe das Handelskontor meiner Familie. Ich lebe schon eine Weile in der Stadt und …«
»Wo kommt Ihr her, wenn Ihr doch in Jerusalem
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