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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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erklärte Anselmo. »Als wir vor einigen Monaten nach Jerusalem kamen, beschloss Cosimo allen zu erzählen , ich sei sein Sohn. Er meinte, es würde manches vereinfachen und viele unangenehme Fragen vermeiden.« Ein Funkeln trat in seine dunklen Augen, und Anne bekam den Verdacht, dass Anselmo diese Lüge besonders genoss und seinen Spaß daran hatte.
    »Und was denkst du, wie ich hierher kam?«, fragte Anne.
    Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern, als fürchtete er, auch die Wände könnten in diesem Hause Ohren haben.
    »Ich denke, Ihr seid auf dieselbe Weise hierher gekommen wie vor zweiundfünfzig Jahren in Florenz – Ihr habt das Elixier der Ewigkeit getrunken.«
    Anne betrachtete Anselmo genau. Wenn man ihn so sah, konnte man verstehen, weshalb ein so junges Mädchen bei seinem Anblick kein Wort mehr hervorbrachte.
    »Ja, zweiundfünfzig Jahre ist das her. Aber du siehst aus, wie …«
    »Ich weiß. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich das Gesicht eines zweiundzwanzigjährigen Mannes. Doch in Wahrheit bin ich vierundsiebzig. Auch Cosimo scheint nicht einen Tag älter geworden zu sein in all den Jahren.« Er zuckte mit den Schultern. »Deshalb mussten wir Florenz verlassen. Die Leute begannen zu reden. Es wurde immer schlimmer. Und als die Scheiterhaufen auch bei uns anfingen zu brennen, beschloss Cosimo, das Land zu verlassen, bevor wir angebunden an Pfähle mit trockenem Holz unter unseren Füßen auf eine vor Begeisterung kreischende Menge hinabsehen müssten, die lauthals unseren Tod forderte. Cosimo sagte, in Jerusalem würde man nicht so viele Fragen stellen. Hier könnten wir untertauchen . Wenigstens für einige Jahre. Außerdem …« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Doch das soll Cosimo Euch lieber selbst erzählen, sobald er wieder da ist.«
    Meleachim saß an seinem angestammten Platz auf dem Markt. Die Schüsseln, Krüge, Becher und Teller waren auf einer Decke vor ihm ausgebreitet. Für ihn war es ein guter Tag, ein sehr guter sogar. Obwohl gerade erst der Muezzin vom Minarett aus die Moslems zu ihrer mittäglichen Gebetszeit aufgerufen hatte, hatte er bereits einen Großteil seiner Waren verkauft . Zwei der Käufer hatten sogar für die nächste Woche noch weitere Schüsseln und Teller bei ihm angefordert. Das Geräusch der klingenden Münzen in seinem Beutel stimmte ihn froh. Er dachte mit Freude an den Rückweg nach Hause, der ihm nicht nur wegen der geringeren Last auf seinen Schultern wesentlich leichter fallen würde. Er dachte an das Gesicht seiner Frau, wenn er ihr sagen konnte, dass sie nun endlich den lang ersehnten Stoff für neue Sitzpolster kaufen konnte. Ja, er konnte wirklich zufrieden sein. Und weil es zur Mittagszeit ohnehin ruhiger auf dem Markt zuging und er mittlerweile Hunger hatte, beschloss er, eine Pause einzulegen und ganz gegen seine Gewohnheit die Mittagsmahlzeit in einem der Gasthäuser einzunehmen.
    »He, du!«, rief Meleachim einem der Burschen des Marktaufsehers zu, der wie seine Kameraden von Stand zu Stand wanderte und überall nach dem Rechten sah. »Ich möchte etwas essen. Kannst du solange auf meine Waren Acht geben?«
    »Natürlich«, erwiderte der Junge und fing geschickt die beiden Kupfermünzen auf, die Meleachim ihm zuwarf.
    Ächzend erhob er sich. Seine alten Glieder waren steif durch das Sitzen auf dem niedrigen Kissen. Er gab dem Jungen noch eine kurze Einweisung in die Preise seiner Waren, bevor er sich auf den Weg machte, um ein geeignetes Gasthaus zu finden. Rund um den Marktplatz gab es mindestens ein halbes Dutzend, doch alle waren überfüllt, denn nicht allein die Händler hatten zu dieser Zeit des Tages knurrende Mägen.
    Meleachim musste lange suchen, bis er endlich in einer engen Seitengasse ein Gasthaus fand, in dem es noch ein paar freie Tische gab. Es war eine düstere, schmutzige Spelunke, in der es nach billigem Wein, Talglichtern und altem Öl roch. Er hätte gewiss bereits an der Tür wieder kehrtgemacht, wenn sein Hunger ihn nicht so geplagt hätte; er zwickte und kniff ihn in die Eingeweide wie ein wütender Krebs. Und erst als er am Tisch saß, fiel ihm auf, dass er sich nicht in einem jüdischen Gasthaus befand. Dies war offensichtlich ein Wirtshaus der Christen.
    Der Wirt, ein grobschlächtiger, glatzköpfiger Mann, der eine schmutzige Schürze um den gewaltigen Leib gebunden hatte, trat auf ihn zu und stellte sich wie ein Berg vor seinem Tisch auf.
    »Was wünscht der Herr?«
    Er starrte Meleachim

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