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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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dabei so grimmig an, dass der sich jetzt schon gar nicht traute, das Wirtshaus wieder zu verlassen.
    »Verzeiht, ich …« Meleachim räusperte sich verlegen und sah sich um. Im Dämmerlicht versuchte er einen Blick auf die Teller auf den Nebentischen zu erhaschen. Welche Speise konnte er hier bestellen, ohne dabei einen allzu großen Verstoß gegen die Speisegesetze zu begehen? »Ich weiß nicht, was …«
    »Jude?«, unterbrach ihn der Wirt barsch.
    Meleachim nickte ängstlich. Er fühlte sich nicht wohl unter dem düsteren Blick des Mannes, und er fragte sich, ob er jetzt wohl mit Prügeln anstelle einer Mahlzeit rechnen musste. Bei Christen konnte man sich nie wirklich sicher sein.
    »Judith! Judith!« Der Wirt rief diesen Namen so laut quer durch den Schankraum, dass Meleachim sich unwillkürlich duckte. »Meine Frau wird sich um Euch kümmern.«
    Damit drehte er sich um und kehrte wieder zu seinem Schanktisch zurück. Es dauerte eine Weile, bis hinter einem schmutzig grauen Vorhang eine Frau hervorkam. Sie warf dem Wirt einen fragenden Blick zu, und der deutete mit dem Kopf zu Meleachim. Sie war klein und flink und wischte sich noch im Laufen die Hände an ihrer Schürze ab.
    »Shalom!«, sagte sie und schenkte Meleachim ein freundliches Lächeln. »Ihr seid ein hungriger Jude?«
    »Ja«, antwortete Meleachim und lächelte zaghaft zurück. »Es trifft wohl beides auf mich zu.«
    »Auch ich bin Jüdin. Auch wenn es Euch schwer fallen mag, dies zu glauben; die äußeren Umstände trügen. Ich bin durchaus in der Lage, Euch in meiner Küche ein koscheres Essen zu bereiten. Wollt Ihr lieber Eier oder Huhn?«
    Meleachim, der sich mittlerweile vor Hunger ganz schwach fühlte, lief das Wasser im Mund zusammen.
    »Huhn«, antwortete er mit heiserer Stimme.
    »Und dazu einen Becher Wein?«
    Er nickte.
    »Ihr werdet es bald bekommen!« Sie lächelte ihm erneut freundlich zu, sagte etwas im Vorbeigehen zu ihrem Mann und verschwand dann wieder hinter dem Vorhang.
    Der Wirt schenkte Wein in einen Becher, den er so vor Meleachim auf den Tisch knallte, dass er zusammenzuckte und der Wein über den Tisch schwappte.
    »Keine Sorge, Alter«, sagte der Wirt und entblößte seine Zähne zu etwas, das wohl ein freundliches Lächeln sein sollte, dem Meleachim aber trotzdem nicht ganz traute. »Sie«, er deutete mit dem Kopf zu dem schmutzig grauen Vorhang, hinter dem sich offensichtlich die Küche verbarg, »ist eine gute Köchin. Und sie macht alles genau nach den Vorschriften. Ihr Vater war Rabbiner.«
    Wie kommt die Tochter eines Rabbiners nur in diese Spelunke ?, fragte sich Meleachim, nachdem der Wirt gegangen war, um andere Gäste zu bedienen. Ob der Vater wohl davon weiß?
    Er beobachtete die anderen Gäste, die sich gedämpft unterhielten oder allein saßen und hastig ihre Mahlzeit in sich hineinlöffelten . Im Halbdunkel war es schwer, ihre Gesichter zu erkennen . Doch Meleachim hätte schwören können, dass auch der eine oder andere muslimische Händler, den er vom Markt her kannte, hier sein Mittagsmahl einnahm. Offensichtlich bewirtete das Ehepaar nicht allein Christen und Juden.
    »Euer Essen«, sagte die Frau und stellte vor Meleachim einen Teller, auf dem gebratenes, mit Kräutern gewürztes Hühnerfleisch , Brot und gekochtes Gemüse appetitlich angerichtet waren. Ein verlockender Duft stieg ihm in die Nase, der ihn an zu Hause erinnerte.
    Meleachim bedankte sich und begann zu essen. Seine Frau war wahrlich keine schlechte Köchin, aber dieses Mahl übertraf alles, was er bisher in seinem Leben gekostet hatte. Oder lag es bloß daran, dass er so hungrig war? Er genoss das Essen in vollen Zügen.
    Er hatte seinen Teller nicht einmal zur Hälfte geleert, als zwei neue Gäste das Wirtshaus betraten. Sie waren in knöchellange Mäntel gehüllt, deren weite Kapuzen ihre Gesichter verbargen . Meleachim konnte nicht sagen, weshalb ihm bei ihrem Anblick sofort die beiden Pilger einfielen, die er vor einiger Zeit auf der Straße vor dem Stadttor belauscht hatte. Es war schon ein paar Monate her, und die ganze Zeit über hatte er keinen Gedanken mehr an die beiden verschwendet. Warum fielen sie ihm ausgerechnet jetzt wieder ein?
    Die Männer streiften sich die Kapuzen vom Kopf und sahen sich im Schankraum um. Sie waren noch ziemlich jung. Beide hatten dunkle Haare und ein bartloses Gesicht. Meleachim atmete erleichtert auf, als er erkannte, dass es sich keinesfalls um die beiden Pilger handelte, die er vor Monaten gesehen

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