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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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unter dem Bett hervorziehen müssen.«
    Er deutete auf ein Bündel auf einem der Bettgestelle, und erst jetzt erkannte Rashid, dass unter den Decken noch eine Gestalt lag, ein weiteres Mädchen, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Sie rührte sich kaum, nur ein leises, qualvolles Wimmern war zu hören. Sofort wusste Rashid, was geschehen war, während er nebenan geschlafen hatte. Er spürte, wie Zorn in heißen Wellen über ihn hereinbrach.
    »Was …«
    Doch Yussuf legte ihm rasch die Hand auf den Mund. »Später. Zuerst müssen wir noch alle Ecken durchsuchen.«
    Wütend schlug Rashid die Hand weg. Er bebte vor Zorn. Dann packte er Yussuf am Arm, zerrte ihn in den ersten Raum zurück und stieß ihn gegen die Wand.
    »Bei Allah, Yussuf, welcher Dämon hat dich getrieben? Bist du dir darüber im Klaren, was du getan hast?«
    Yussuf grinste, doch sein Grinsen wirkte keineswegs so selbstsicher, wie er es wohl beabsichtigt hatte.
    »Weshalb regst du dich auf, Rashid? Es war notwendig, um sie zum Sprechen zu bringen.«
    »Unsinn! Auf diese Weise hast du nichts erfahren, gar nichts. Stattdessen hast du …« Er brach ab, biss die Zähne zusammen und schüttelte fassungslos den Kopf. Ihm war übel vor Wut, vor Ekel, vor Abscheu. Doch sein Zorn richtete sich nicht nur gegen Yussuf, er richtete sich auch gegen sich selbst. Wäre er bloß nicht eingeschlafen. »Wie konntest du das nur tun, Yussuf? Wir haben den Eid der Ehelosigkeit geleistet!«
    »Das hat doch damit nichts zu tun. Die beiden sind verdächtig . Sie könnten etwas über diesen Prediger wissen. Und deshalb …«
    »Es sind Kinder!«, zischte Rashid und holte aus. Erst im letzten Augenblick änderte er die Richtung des Schlages, der eigentlich für Yussufs Kinn bestimmt gewesen war, und schmetterte seine Faust mit einem wütenden Aufschrei gegen die Mauer. Seine Fingerknöchel hinterließen blutige Spuren auf der sauberen gekalkten Wand, doch er merkte es kaum.
    »Rashid!« Das Grinsen verschwand nun endgültig von Yussufs Gesicht. Er zitterte, und Schweiß brach ihm aus allen Poren aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ihn an. »Du wirst doch dem Meister der Suppenschüssel nichts davon erzählen, mein Freund? Nicht wahr, Rashid, was hier geschehen ist, bleibt unter uns?«
    Rashid antwortete nicht sofort. Er kämpfte immer noch gegen das Bedürfnis an, seinen Freund durchzuschütteln, ihn zu schlagen, mit dem Kopf voran bis auf den Boden eines Fasses zu tauchen. Ohne Zweifel hätte er es verdient, für einige Tage ins dunkle Loch zu wandern und dort über seine Taten nachzudenken . Doch hatte ausgerechnet er ein Recht, Yussuf zu bestrafen? Wenn er nicht eingeschlafen wäre, hätte Yussuf keine Gelegenheit gehabt, den Mädchen ein Leid anzutun. Rashid holte tief Luft. Sein Zorn legte sich ein wenig, und gleichzeitig schwoll der Schmerz in seiner Hand an. Kopfschüttelnd betrachtete er seine blutenden Knöchel. Nein, er hatte kein Recht, Yussuf zu bestrafen. Allah allein war der oberste Richter. Er würde das Urteil fällen. Über sie beide.
    »Also gut, Yussuf, ich werde dich nicht verraten. Doch ich schweige nicht allein aus Freundschaft, sondern weil auch mich ein großes Maß an Schuld trifft. Ich hätte dich aufhalten müssen.«
    Sichtlich erleichtert atmete Yussuf auf. »Ich wusste es. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, Rashid.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wollen wir jetzt den Raum noch einmal durchsuchen?«
    »Nein«, zischte Rashid. Sein Zorn wallte von Neuem auf, und er stieß Yussuf zur Tür hinaus auf den Gang, der zur Straße führte. »Du gehst da nicht noch einmal hinein. Das werde ich allein erledigen.«
    Ich werde nichts sagen, aber du solltest zu Allah beten, dass die beiden Mädchen auch ihren Mund halten, dachte Rashid und sah dem hastig über den Gang stolpernden Yussuf nach. Dann kehrte er in den Schlafraum zurück. Er fand die beiden Mädchen genauso vor, wie er sie verlassen hatte. Er betrachtete sie einen Augenblick. Gern hätte er sie getröstet, irgendetwas für sie getan, um ihre Schmach und ihren Schmerz zu lindern , doch er konnte es nicht. Was hätte er ihnen auch sagen sollen? Dass es ihm Leid tue? Dass ihnen wahrscheinlich nichts geschehen wäre, wenn er nicht im Nebenzimmer eingeschlafen wäre? Wahrscheinlich war es das Beste, die Kammer zu durchsuchen und dann so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, bevor die Eltern der Mädchen heimkamen. Wäre er der Vater der beiden

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