Die Wächter von Jerusalem
halbtauben Mönche wussten nichts über sein Ziel. Wieder vergingen mehrere Jahre erfolglosen Suchens nach Giacomo de Pazzi, bis wir schließlich vor etwa einem Jahr hörten, dass er auf dem Weg nach Jerusalem sei. Und deshalb sind wir jetzt hier.«
»Und? Habt Ihr ihn gesehen? Ist er hier?«
Cosimo und Anselmo warfen einander einen raschen Blick zu.
»Wir nehmen es an«, begann Anselmo. »Aber …«
»Das ist leider nicht so einfach, wie Ihr es Euch vielleicht vorstellt, Signorina Anne«, fiel Cosimo seinem Diener ins Wort und bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Giacomo hat mittlerweile die Weihen erhalten. Stefano übrigens auch. Die beiden sind jetzt Priester, und die Türen jedes christlichen Hauses stehen ihnen offen. Sie können sich überall verstecken. Wir wissen nicht, ob auch Stefano das Elixier der Ewigkeit regelmäßig zu sich nimmt, aber ich kenne Giacomo. Er ist dem verhängnisvollen Zauber des Elixiers verfallen, und er hat in all den Jahren gewiss nicht damit aufgehört, davon zu trinken .« Cosimo rückte den Teller vor sich in eine andere Position . »Das verschafft ihm nicht nur einen beträchtlichen Vorteil uns gegenüber, es hat auch seinen Verstand erheblich beeinflusst . Er ist wahnsinnig, besessen von dem Gedanken, mit Hilfe des Elixiers die Geschicke der Welt zu lenken. Und somit ist er noch gefährlicher als früher – sofern dies überhaupt möglich ist. Und dann …«
»Das ist ja alles schön und gut«, unterbrach ihn Anne. Sie wurde allmählich ungeduldig. »Aber wo ist er jetzt?«
»Wir …« Cosimo räusperte sich verlegen. »Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht. Ja, Ihr habt richtig gehört, Signorina Anne, wir wissen nicht, wo sich Giacomo de Pazzi zur Zeit aufhält. Wir können nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, dass er wirklich hier in Jerusalem ist.«
Die Wächter von Jerusalem
Der Duft von gebratenem Speck und Schweinelenden, die am Spieß über dem Feuer gegrillt wurden, erfüllte das ganze Haus. Er drang sogar hoch bis zum Heuboden und stieg dem kleinen Jungen in die Nase, der dort oben mit einer jungen Katze auf dem Arm hockte und ihren Geschwistern beim Spielen zusah. Der köstliche Duft erinnerte ihn daran, dass er Hunger hatte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen bei dem Gedanken an das Festmahl, das ihn erwarten würde, sobald die Eltern mit dem Pfarrer und den Taufpaten von der Kirche heimkommen würden. Er hörte schon das Fuhrwerk auf den Hof fahren . Hastig kroch er zu der Dachluke und sah hinaus. Ja, das waren sie. Der Knecht ließ den Wagen anhalten, und seine Eltern , der Pfarrer und die Taufpaten stiegen ab. Seine Mutter trug die kleine Schwester auf dem Arm und kam ins Haus.
»Josef!« Er hörte ihre helle Stimme an der Eingangstür. »Wo ist dein Bruder?«
Die Stimme seines älteren Bruders war kaum zu hören, dafür hallte die zornige Stimme des Vaters umso deutlicher durch das Haus und füllte es ebenso bis in den letzten Winkel aus wie der Duft nach Speck und Schweinebraten.
»Hatte deine Mutter dir nicht befohlen, auf Gernot aufzupassen ?«
Es klatschte. Der kleine Junge kroch an den Rand des Heubodens und sah hinunter in den großen, zu den Ställen hin offenen Raum mit der Feuerstelle an der Stirnseite, der nicht nur zum Kochen und Essen benutzt wurde, sondern den Knechten und Mägden auch als Schlafkammer diente. Dort unten, neben dem langen Tisch, der wegen des festlichen Anlasses mit dem besten Geschirr und Besteck gedeckt war, standen sein Vater, seine Mutter und sein weinender Bruder. Gern wäre er jetzt einfach still und heimlich die Leiter wieder nach unten geklettert, doch es ging nicht. Seine kurzen Beine reichten nicht an die erste Sprosse heran, und irgendwo in den Windungen seines erst dreijährigen Gehirns begann er zu begreifen, weshalb ihm die Eltern verboten hatten, auf den Heuboden zu klettern. Nun fing auch er an zu weinen.
»Jesus, Maria und Josef!«, rief seine Mutter und schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund, während der Pfarrer hastig zu beten anfing. »Gernot! Was machst du denn dort oben im Heu?«
Statt zu antworten, weinte er nur noch mehr. Und dann ging alles rasend schnell. Er hörte eilige Schritte auf der Leiter. Das Gesicht seines Vaters tauchte am Rand des Heubodens auf. Mit geschlossenen Augen schlang er seine Arme und Beine um seinen Vater und gelobte im Stillen, nie wieder auf den Heuboden zu klettern. Und dann war er auch schon wieder unten, saß an der reich gedeckten Tafel und aß
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