Die Wächter von Jerusalem
und etwas zu essen. Ich habe einen Hunger, ich könnte gut und gerne einen ganzen Hammel verspeisen. Kommt, wenn wir uns beeilen, mag es uns noch gelingen, Rashid einzuholen .«
Es war mitten in der Nacht. Im Haus des Kaufmannes Cosimo de Medici war alles ruhig. Die Herrschaften schliefen, die Diener schliefen, selbst im Stall standen die Pferde still in ihren Boxen. Sie schnaubten nur leise und wandten ihre Köpfe Elisabeth zu, die eingehüllt in einen knöchellangen dunklen Mantel an ihnen vorbeischlich. Natürlich hätte sie das Haus lieber durch die Haustür verlassen als durch den Stall zu schleichen. Im Gegensatz zu der schmalen Gasse, auf die man von der Stalltür aus gelangte, war die Straße an der Vorderseite des Hauses beleuchtet. Doch direkt vor der Haustür schlief Mahmud . Er war zwar ein Trottel, der ihr wohl jede beliebige Ausrede geglaubt hätte, und dennoch wollte sie ihn auf gar keinen Fall wecken. Niemand sollte von ihrem nächtlichen Ausflug wissen. Niemand.
Elisabeth schob den Riegel der Stalltür zurück und spähte vorsichtig hinaus. Weit über ihr, als schmalen Streifen zwischen den düsteren Hauswänden, die sich drohend um sie herum in den Himmel erhoben, konnte sie die Sterne sehen. Unzählige Lichter, wie kleine Kerzen der Hoffnung inmitten der Schwärze. Aber die Gasse selbst lag in völliger Dunkelheit vor ihr. Es war nichts zu sehen. Elisabeth lauschte. In der Nacht verirrten sich nur selten Menschen hierher. Ab und zu kamen Soldaten auf ihren nächtlichen Patrouillen vorbei, aber sie verschwanden meist schnell wieder, als ob ihnen die Dunkelheit ebenso unheimlich wäre wie ihr. Doch in dieser Nacht blieb alles still.
Elisabeth trat auf die Gasse hinaus und schloss sorgfältig die Stalltür hinter sich. Jetzt war auch der letzte schwache Lichtschein verschwunden, und sie stand allein in der Finsternis . Sie erschauerte. Das letzte Mal, als sie diesen Weg gegangen war, hatte der Mond geschienen, klar und hell hatte sein silbriges Licht ihr den Weg gewiesen. Doch heute war Neumond . Und in der Gasse war es so dunkel, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Wie eine Trommel dröhnte der Herzschlag in ihren Ohren, und für einen kurzen Moment wollte die Angst sie überwältigen. Sie fürchtete sich vor dieser Finsternis, die sie direkt in die Hölle zu locken schien. Wenn sie wenigstens eine Lampe mitgenommen hätte. Elisabeth verspürte das drängende Bedürfnis, wieder in den Schutz des Hauses zurückzukehren. Sollte sie sich eine Lampe oder eine Fackel holen? Aber vielleicht würde sie dann Mahmud oder Esther wecken.
In diesem Augenblick hörte sie in ihrem Inneren eine Stimme . Es war die Stimme von Pater Giacomo. Und es waren die Worte, die er am Schluss ihrer letzten Versammlung vor einigen Tagen zu ihnen gesprochen hatte, Worte des Glaubens, Worte, die ihr jetzt Kraft gaben. »Seid stark, vertraut auf den Herrn. Euer Weg mag euch durch die tiefe Finsternis und schreckliche Gefahren führen, aber vergesst nicht, meine Brüder und Schwestern, euer Weg führt euch ans Licht.« Ja, Pater Giacomo hatte Recht. Sie musste die Dunkelheit durchqueren, um zum Licht zu gelangen. Sie musste stark sein. Und sie würde stark sein. Mit Gottes Hilfe.
Elisabeth raffte den Mantel unter dem Kinn zusammen und wandte sich nach links. Mühsam, Schritt für Schritt, tastete sie sich an der Hauswand entlang, bis sie endlich die große Straße erreichte. Hier brannten in regelmäßigen Abständen Fackeln, hier würde sie schneller vorankommen. Doch natürlich musste sie hier auch besonders vorsichtig sein. Wenn sie selbst besser sehen konnte, konnten die Soldaten das auch.
So schnell und so leise es ihr möglich war, lief sie die Straße entlang und bog in die nächste Seitenstraße ein. Doch was war das? Elisabeth blieb stehen und lauschte. In der Ferne hörte sie die Schritte von schweren Stiefeln, raue Stimmen und das Klirren von Säbeln. Die Geräusche kamen aus einer der Seitenstraßen vor ihr, und sie kamen direkt auf sie zu. Hastig sah Elisabeth sich nach einem geeigneten Versteck um. Da, höchstens zehn Schritte von ihr entfernt zwischen zwei benachbarten Häusern, entdeckte sie einen schmalen Durchlass. Wahrscheinlich gelangte man von dort in einen der Hinterhöfe, aber vielleicht endete er auch an einer Mauer. Doch das war egal. Das Licht der Straßenfackeln reichte nicht hinein. In den Schatten würde sie sich verbergen können. Elisabeth begann zu laufen. Aus dem Augenwinkel
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