Die Wächter von Jerusalem
die in der Nähe jener Kirche wohnen, die das Heilige Grab unseres Herrn Jesus Christus beherbergt. Sie hofften Spuren zu finden, die sie zu uns führen. Aber unsere Brüder und Schwestern waren stark, und keiner von ihnen wich vom rechten Pfad ab. Doch jetzt, da sie unsere Fährte aufgenommen haben, werden die Janitscharen nicht eher ruhen, bis sie uns gefunden haben. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Sie werden Spitzel auf uns ansetzen. Unsere Herrschaften und Diener, unsere Nachbarn, ja, selbst unsere leiblichen Brüder und Schwestern, Ehemänner und Ehefrauen, Mütter und Väter werden uns an die Frevler, an die Feinde des Herrn verraten!«
Ein Raunen ging durch die Menge, die Versammelten sahen einander erschrocken an.
»Aber verzweifelt nicht, Brüder und Schwestern, denn auch dieser Weg ist uns vorbestimmt. Er gehört zu dem Kreuz, das wir auf uns nehmen müssen, um dem Wort des Herrn zu folgen und ihm den Weg zu bereiten. Denn er selbst sagt: ›Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern ich bringe das Schwert.‹ Es ist an uns, dem Beispiel der heiligen Märtyrer zu folgen, Verrat, Kerkerhaft, Folter, ja, vielleicht sogar den Tod zu ertragen, um dem Herrn zu dienen, um ihm die Wege zu ebnen. Denn das Reich des Herrn ist nahe. Die Namen der Frevler werden von der Tafel gewischt werden. Und jeder, der in Seinem Namen leidet, wird zu Seiner Rechten sitzen, wenn Er kommt!«
»Amen!«
»Brüder und Schwestern!« Pater Giacomo trat einen Schritt vor an die äußerste Kante des Plateaus und breitete seine Arme aus. Er sah die Versammelten an, als wollte er jeden Einzelnen von ihnen umarmen. »Tragt unsere Botschaft weiter. Doch seid wachsam. Hütet euch vor den Janitscharen, die überall lauern. Und haltet die Türen eurer Herzen verschlossen vor den vergifteten, todbringenden Worten der Frevler. Dann werdet ihr dem Herrn dienen, so wie Er es von uns erwartet. Und nun lasst uns gemeinsam beten und das heilige Mahl zu uns nehmen.«
Alle Versammelten knieten nieder. Elisabeth liefen die Tränen über die Wangen. Ja, sie wollte dem Herrn dienen, mit jeder Faser ihres Herzens. Sie würde die Botschaft von Pater Giacomo weitergeben. Und sie wusste auch schon, an wen.
V
Verschwörung in Jerusalem
Özdemir, der Statthalter seiner Eminenz Sultan Suleiman II., auch genannt der Prächtige, saß auf seinem Stuhl und hörte sich nachdenklich den Bericht an, den Ibrahim , der »Meister der Suppenschüssel«, ihm lieferte. Özdemir hatte sich an den Brauch der Janitscharen, ihre Offiziere mit Begriffen aus der Küche zu bezeichnen, nie richtig gewöhnen können. Meist erzeugte der Gedanke an diesen merkwürdigen Ehrentitel ein Lächeln bei Özdemir. Er stellte sich dann stets vor, wie Ibrahim in Schürze und Kochmütze seine Janitscharen überwachte und dafür sorgte, dass die Zwiebeln fein genug gehackt und die Kräuter wirklich frisch waren. Doch angesichts dessen, was Ibrahim ihm heute zu berichten hatte, blieb ihm das Lachen im Halse stecken.
»Sie haben im ganzen Umkreis der Grabeskirche gesucht. Jedes Haus, jede Wohnung, jede noch so schäbige Kammer. Und doch haben meine Männer nichts gefunden«, sagte der Großmeister. »Keine Spur dieses Predigers Giacomo, keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort, nichts.«
Özdemir rieb sich die Augen. Er war müde, erschöpft. Die Verantwortung für diese Stadt lastete manchmal schwer auf seinen Schultern. So schwer, dass er sich sogar wünschte, sie einfach abstreifen und nach Hause zurückkehren zu können. Nach Hause in die Berge, dorthin, wo es nur eine einzige Moschee gab, alle Männer und Frauen die Worte des Korans kannten und niemand mit den anderen über ihren Wahrheitsgehalt stritt. Aber das war ein Wunsch, der sich nicht so ohne weiteres erfüllen ließ. Suleiman der Prächtige allein würde entscheiden , ob und wann er das Amt des Statthalters von Jerusalem niederlegen konnte. Özdemir seufzte.
»Entweder ist dieser Pater Giacomo ein überaus kluger Mann, der sich geschickt unseren Nachforschungen zu entziehen vermag«, fuhr Ibrahim fort, und sein Gesicht war finster wie der Himmel vor einem schweren Gewitter, »oder seine Anhänger fürchten ihn so sehr, dass sie lieber schwere Unbill auf sich nehmen, als ihn zu verraten. Oder aber …«
Özdemir sah auf. »Warum sprichst du nicht weiter, mein Freund?«
»Ich bitte um Vergebung, Özdemir, aber ich muss immer daran denken, wer uns den Hinweis auf diesen geheimnisvollen Prediger gegeben
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