Die Wächter von Jerusalem
wählen musste . Ibrahim gegenüber konnte er offen sein. Sie kannten einander gut, und sie hatten ein fast freundschaftliches Verhältnis zueinander, seit Suleiman der Prächtige sie beide vor nunmehr zehn Jahren in diese Stadt gesandt hatte, um hier seine Interessen vertreten zu wissen. Und ebenso wie er selbst kannte auch Ibrahim die Wahrheit. Der Wunsch des Sultans war es, ein Reich zu erschaffen, in dem alle – Juden, Christen und Moslems – friedlich miteinander leben konnten. Sie alle glaubten schließlich an den Einen Gott, waren Kinder desselben Herrn, verehrten die gleichen Propheten. Doch was in anderen Teilen des Reiches wohl funktionieren mochte, schien in Jerusalem unmöglich zu sein. In dieser Stadt lagen Juden, Christen und Moslems ständig miteinander im Streit. Und Özdemirs und Ibrahims Aufgabe war es, für den von Suleiman gewünschten Frieden zu sorgen. Wie auch immer sie das anstellen sollten.
»Vergib mir meine Offenheit, Özdemir. Suleiman mag ein großer Herrscher sein, doch leider ist er auch ein großer Träumer , der seine Augen nur zu gern vor der Wirklichkeit verschließt . Du und ich wissen das aus schmerzhafter Erfahrung. Ich will den Juden und Christen ihren Glauben keinesfalls verbieten oder sie gar aus der Stadt verjagen. Sollen sie doch ihre Kreuze an die Wand hängen und ihre Gebete vor der Klagemauer sprechen. Doch ich hielte es für besser, sie stärker bei ihren Versammlungen zu beobachten und ihnen nicht all jene Privilegien zu gewähren, die auch für die Gläubigen gelten. Wir sollten vorsichtiger mit ihnen umgehen. Und bei den Juden würde ich damit beginnen.«
Der Statthalter schwieg und dachte über die Worte nach. Insgeheim gab er Ibrahim Recht. Wie alle Janitscharen war er von Kindesbeinen an Soldat. Er kannte alle Schliche der Schurken und Betrüger, er hatte einen Sinn für Gefahr, Verrat und Betrug. Unter seiner weisen Führung hatten die Janitscharen in den vergangenen Jahren so manchen Aufruhr bereits im Keim ersticken können, von denen Suleiman der Prächtige in seinem Palast im fernen Istanbul nicht einmal ahnte. Ohne ihn und seine Männer wäre das Zusammenleben der drei Millets über die Jahre gesehen wohl keineswegs so friedlich verlaufen. Seine Einschätzung war deshalb durchaus von Bedeutung. Und wenn es stimmte, dass ein neuer Aufstand der Juden drohte, waren die Sorgen, die ihn zur Zeit drückten, nichts im Vergleich zu dem, was ihm noch bevorstand.
»Du magst Recht haben, Ibrahim, du magst Recht haben«, sagte Özdemir und nickte langsam. »Deshalb solltest du unbedingt Meleachim, den Töpfer, ausfindig machen und ihn nochmals verhören. Lass auch sein Umfeld beobachten. Ebenso das des Wirtes und seiner jüdischen Frau. Vielleicht gibt es da einen aufsässigen Rabbiner, oder der Töpfer selbst gehört einer uns feindlich gesinnten jüdischen Sekte an. Vielleicht wurde er aber auch nur von anderen benutzt, die weit klüger sind als er. Finde es heraus.«
»Jawohl, das werde ich.«
Ibrahim nickte grimmig. Man konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er bereits darüber nachdachte, welche seiner Soldaten für diese Aufgabe wohl am besten geeignet waren.
»Dennoch sollten wir auch die andere Möglichkeit nicht unbeachtet lassen«, fuhr Özdemir fort. »Die Möglichkeit, dass der Töpfer uns nicht täuschen wollte, dass es diesen geheimnisvollen Pater Giacomo wirklich gibt, und dass er nichts Geringeres vorhat, als genügend Anhänger um sich zu scharen, um erneut einen Kreuzzug zu beginnen. Diesmal nicht von außen, sondern mitten im Herzen von Jerusalem .« Ibrahim wollte etwas entgegnen, doch Özdemir hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Ich weiß, was du sagen willst, Ibrahim. Wenn es diesen Pater Giacomo gäbe, hätten die Janitscharen eine Spur von ihm finden müssen. Doch er mag sehr klug sein. Oder sehr geschickt. Oder er hat bereits genügend Gefolgsleute, die ihm bedingungslos ergeben sind und ihn sogar unter Einsatz ihres Lebens schützen. Oder aber – und ich weiß, dass dieser Gedanke dir am wenigsten behagt – deine Janitscharen waren nicht so eifrig und aufmerksam , wie du es dir wünschen würdest.«
Ibrahim wich das Blut aus den Wangen, seine Augen begannen zu funkeln wie glühende Kohlen, seine Nasenflügel blähten sich. Und im selben Augenblick wusste Özdemir, dass er einen Fehler begangen hatte.
»Willst du damit etwa behaupten, dass …«
»Ich weiß, ich weiß, Ibrahim, deine Männer haben Allah und dem Sultan die
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