Die Wächter von Jerusalem
hat.«
Der Statthalter zuckte mit den Schultern. »Spielt das denn eine Rolle?«
»Oberflächlich betrachtet, nicht. Dann ist er nichts weiter als ein einfacher Mann«, sagte Ibrahim. »Ein hungriger Töpfer, der nach einem anstrengenden Tag auf dem Markt in einem Wirtshaus eingekehrt ist und dort zufällig Zeuge wird, wie zwei der Anhänger des Predigers versuchen, den christlichen Wirt gegen seine jüdischen und muslimischen Gäste aufzubringen.« Er schnalzte mit der Zunge. »Aber wenn man weiß, dass der Töpfer Meleachim heißt, dann sieht die Sache anders aus.«
»Meleachim, sagtest du? Dieser Töpfer ist also Jude. Na und?« Özdemir schüttelte ratlos den Kopf. »Ich verstehe dich nicht, Ibrahim. Worauf willst du hinaus?«
»Bei der Geschichte, die uns dieser Meleachim aufgetischt hat, gibt es einige Ungereimtheiten.« Er hielt seine Hand hoch und zählte auf. »Erstens: Wieso meldet ausgerechnet er – ein Jude – diesen Vorfall, wenn doch angeblich auch Moslems in dem Gasthaus gespeist haben, von denen sich jedoch kein Einziger bei uns gemeldet hat? Zweitens: Er hat behauptet, dass er diesen Pater Giacomo mit einem Begleiter vor einigen Monaten auf ihrem Weg nach Jerusalem beobachtet hat. Die beiden haben sich angeblich über den ›letzten Kreuzzug‹ unterhalten, den sie planen. Wenn das wahr ist, wieso ist er nicht gleich zu uns gekommen? Warum rückt er erst jetzt mit dieser Geschichte heraus? Und drittens: Warum – und das musst du mir mal erklären – kehrt ein Jude in einem christlichen Gasthaus ein, wo sich lediglich eine Straße weiter jüdische Gasthäuser aneinander reihen wie die Perlen auf einer Schnur? Soweit mir bekannt ist, sind die Speisegesetze der Juden nämlich noch viel heikler als die des Korans. Angeblich geht dieser Meleachim für gewöhnlich nicht in Gasthäuser und kennt sich daher in Jerusalem nicht so gut aus. Er habe sich dorthin verirrt und sich dann nicht mehr getraut, das Gasthaus zu verlassen, behauptet er. Und das geschieht natürlich ausgerechnet an dem Tag, an dem diese beiden Anhänger des Giacomo sich entschließen, im Schankraum dieses Wirtes zu predigen.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Das kann ich einfach nicht glauben. Das sind mir ein paar Zufälle zu viel.«
»Stattdessen glaubst du, dass dieser armselige Töpfer eine Verschwörung plant?«
»Vielleicht nicht er allein. Aber unter den Juden gibt es einige , die uns nicht wohlgesinnt sind. Sie behaupten immer noch, Jerusalem gehöre ihnen. Sie sehen uns als Fremde, als Eindringlinge, und am liebsten würden sie sowohl uns als auch die Christen aus der Stadt vertreiben. Dieser Prediger könnte ihnen dabei nützlich sein. Durch ihn wird unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Christen gelenkt. Wir verdächtigen sie, durchsuchen ihre Häuser, werfen vielleicht manche von ihnen in den Kerker, viele flüchten – und dabei …« Ibrahim hielt einen Augenblick inne. »Dabei ist dieser geheimnisvolle Prediger Giacomo vielleicht nichts weiter als ein Schatten, ein Märchen, eine erfundene Gestalt. Und unterdessen können die Juden ungestört einen neuen Aufstand planen.«
»Nun, die beiden Anhänger des Predigers waren zumindest keine Sagengestalten. Der Wirt hat sie unter den Augen all seiner Gäste auf die Straße geworfen.«
Ibrahim schnaubte verächtlich. »Das ist mir bekannt. Ich selbst habe den Mann schließlich verhört. Doch seltsamerweise fand sich kein Gast, der Meleachims Bericht über die Worte der beiden Aufrührer bestätigen konnte. Außerdem – und das wiegt für mich schwerer als alles andere – ist die Frau des Wirtes Jüdin. Sie ist sogar die Tochter eines Rabbiners, mit dem wir schon öfter wegen seiner radikalen Ansichten zu tun hatten. Aber vielleicht hat man dir das bisher verschwiegen.«
Özdemir seufzte. Diese Tatsache war ihm tatsächlich bisher nicht bekannt gewesen. Das warf natürlich ein ganz anderes Licht auf die Geschichte des Töpfers. Trotzdem – irgendwie wollte er nicht glauben, dass dieser alte Töpfer gelogen hatte.
»Du weißt, Ibrahim, dass Suleiman, möge Allah ihn und seine Nachkommen segnen, ein friedliches Zusammenleben der an den Einen Gott Glaubenden wünscht. Wir sollen den Juden und Christen Vertrauen entgegenbringen und sie in allem …« Resigniert brach er ab. Er selbst wusste nur zu gut, wie hohl diese Worte klangen. Außerdem war Ibrahim keiner der zahlreichen Schreiber, Bibliothekare, Übersetzer und Minister , vor deren Ohren er seine Worte sorgfältig
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