Die Wächter von Jerusalem
Treue geschworen. Das macht sie über jeden Verdacht erhaben. Aber …«
Özdemir erhob sich von seinem Thron und begann durch die Halle zu wandern. Der Gedanke an Verrat aus den Reihen der Janitscharen war ihm selbst unangenehm. Doch je länger er darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher erschien er ihm. Natürlich waren die Janitscharen Männer Allahs, und nicht nur Suleiman stützte sein ganzes Vertrauen auf sie. Auch er selbst hatte bisher nie an ihrer Treue und Rechtschaffenheit gezweifelt. Aber auch die Janitscharen waren letztlich nur Menschen, gleich welche Eide sie geschworen hatten. Und menschliche Herzen konnten schwach werden. Aus den verschiedensten Gründen. Rache, Hass, Gier, Mitleid. Oder vielleicht Liebe.
»Bitte, verstehe mich nicht falsch, Ibrahim, aber stimmt das wirklich? Sind alle deine Männer Allah und dem Sultan tatsächlich so treu ergeben, wie wir glauben? Du und ich, wir beide wissen, welches Blut in den Adern der meisten von ihnen fließt. Und nur Allah weiß, ob nicht einer von ihnen sich seiner Herkunft erinnert und nun doch lieber der Stimme seines Blutes als den Worten des Korans folgen möchte.«
Ibrahim biss die Zähne zusammen, dass es knirschte.
»Hegst du einen konkreten Verdacht gegen einen meiner Männer?«
Özdemir schüttelte den Kopf. »Nein, keineswegs. Es ist nur eine Vermutung. Ich wollte nur zu bedenken geben, dass wir diese Möglichkeit ebenso wenig ausschließen sollten wie die anderen.«
Ibrahim schwieg eine Weile, dann nickte er. Aber Özdemir sah ihm an, dass es ihm schwer fiel. In den Tiefen seiner dunklen Augen glomm ein Funke, den er noch nie zuvor bei dem Meister der Suppenschüssel gesehen hatte und der ihm gar nicht gefiel. Überhaupt nicht.
»Also gut. Ich werde mit den Kochmeistern reden und meine Männer einer eingehenden Prüfung unterziehen. Hast du noch weitere Befehle?«
»Ja«, sagte Özdemir und nahm wieder auf seinem Thron Platz. Er fühlte sich unbehaglich, versuchte aber, es zu verbergen . »Die Janitscharen haben gestern im Viertel der Christen nach diesem Pater Giacomo gesucht. Doch vielleicht verbirgt er sich gar nicht bei den einfachen Leuten. Vielleicht findet er Zuflucht bei den wohlhabenden Kaufmännern. Möglicherweise ist er sogar einer von ihnen, ein vornehmer, einflussreicher Mann, der tagsüber seinen Geschäften nachgeht. Überprüft also auch die Häuser der christlichen Händler. Selbstverständlich erfordert diese Aufgabe sehr viel mehr Fingerspitzengefühl , Umsicht und Höflichkeit. Wir wollen die Kaufleute nicht unnötig gegen uns aufbringen. Das wäre gewiss nicht im Sinne Suleimans, Allah möge seinen Namen segnen, und unter Umständen wäre es sogar der Untergang dieser Stadt. Wähle deshalb dafür besonders zuverlässige, besonnene Männer aus. Nichts würde unserer Sache mehr Schaden zufügen, als einen der Kaufleute durch anmaßendes Verhalten zu erzürnen und aus der Stadt oder gar in die Arme dieses geheimnisvollen Paters Giacomo zu treiben.«
»Sofern es diesen Pater Giacomo gibt.«
»Sofern es ihn gibt, richtig. Aber wenn ich ehrlich bin, so zweifle ich nicht daran.«
Ibrahim nickte langsam. »Gut«, sagte er. Doch seine Stimme klang so eisig, dass es Özdemir kalt den Rücken hinunterlief . »Sofern du keine weiteren Wünsche hast, werde ich mich zurückziehen, um deine Befehle an meine Männer weiterzugeben .«
Er verneigte sich und ging dann hoch erhobenen Hauptes davon. Özdemir sah ihm nach, bis sich die Flügel der Tür wieder hinter ihm geschlossen hatten. Eine Weile grübelte er noch über das Gespräch nach. Und über den seltsamen Ausdruck in Ibrahims Augen. Es war zwar nur ein Funke, ein kurzes Glimmen gewesen, nicht mehr, und doch hatte er den Eindruck gehabt, für diese kurze Zeitspanne in die Seele des Hauptmannes der Janitscharen geblickt zu haben. Und was er darin gesehen hatte, ließ ihn immer noch erschauern. Es war Hass gewesen, kalter, blanker Hass. Allah, hören denn die Schwierigkeiten niemals auf?, dachte Özdemir. Mehr denn je wünschte er sich an einen anderen Ort. Jerusalem – welches unerfreuliche Kismet hatte ihn ausgerechnet hierher verschlagen ? Er gab sich einen Ruck und rief nach seinem Sekretär. Dieser kam sofort.
»Verehrter Özdemir, Vater meiner liebreizenden Ehefrau, Großvater meiner Kinder«, sagte er und verneigte sich leicht. »Ihr habt mich gerufen. Womit kann ich Euch dienen?«
»Mein lieber Saadi, ich bitte dich, bring mir alle Gesetze und Erlasse der letzten
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