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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Zeit über getragen hatten. Es mussten Stunden vergangen sein. Sie fühlte sich benommen, wie betäubt, als wäre sie von einem Laster gerammt worden. Wie kann ich ihn nur wiedersehen?, war der einzige Gedanke, zu dem ihr umnebeltes Gehirn noch imstande war.
    »Ich glaube, wir haben nichts zu befürchten«, meinte Cosimo , als er kurz darauf ins Speisezimmer zurückkehrte. Er ließ sich erleichtert auf seinen Stuhl fallen und fuhr sich durchs Haar. »Im Gegenteil. Die beiden waren sogar erstaunlich höflich . Sie haben sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, mich um Verständnis gebeten und gesagt, dass wir uns entschädigen lassen können, falls wir durch ihr Erscheinen einen finanziellen Nachteil erleiden mussten.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Anselmo ungerührt. Er schien immer noch wütend zu sein. »Und was haben sie nun gesucht? Haben sie Euch das freundlicherweise auch mitgeteilt?«
    Cosimo schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Zuerst habe ich befürchtet, dass sie von Signorina Anne wüssten, aber zum Glück … Anne? Signorina Anne?«
    Langsam, als würde man sie gewaltsam aus einem tiefen Schlaf wecken, kam Anne wieder zu sich.
    »Was ist?«
    »Ist alles in Ordnung mit Euch?«
    »Ja, natürlich, weshalb …«
    Cosimo und Anselmo warfen einander einen Blick zu, den Anne nicht verstand. Cosimo seufzte schwer und fuhr sich erneut durch sein dichtes Haar, das ihm mittlerweile zu allen Seiten vom Kopf abstand. Aus irgendeinem Grund machte er keinen besonders glücklichen Eindruck.
    »Das kann ja heiter werden«, murmelte er, und Anselmo nickte grimmig. Seine Augen sprühten Funken.
    »Was ist denn los?«, fragte Anne verwirrt. »Habe ich etwas falsch gemacht?«
    »Nein. Nein, ich glaube, dafür könnt Ihr nichts, Signorina Anne«, antwortete Cosimo und stieß die Luft aus wie ein Gewichtheber, der gerade eine besonders schwere Hantel stemmt. »Es gibt Mächte, denen der Mensch schutzlos ausgeliefert ist.«
    Wie im Traum trat Rashid auf die Straße hinaus. Ein leichter Wind wehte ihm ins Gesicht und kühlte seine erhitzten Wangen. Er fühlte sich wie im Fieber. Und doch war sein Verstand seltsam klar, und sein Körper war leicht, so leicht, dass er die Steine unter seinen Füßen kaum spürte. Hatte sich die Luft verändert, seitdem er dieses Haus betreten hatte? Sie duftete mit einem Mal so süß, als würden überall Rosen und Jasmin in voller Blüte stehen. Er atmete tief ein und sah wieder ihr Gesicht vor sich. Ihre Augen. Sie war es. Das wusste er, ebenso wie er seinen eigenen Namen wusste. Sie war die Einzige. Für sie würde er bis ans Ende der Welt reisen, Ungeheuer erschlagen oder den goldenen Apfel vom Baum des Lebens holen. Für sie würde er alles tun.
    »Wieder nichts«, sagte Yussuf mit fröhlicher Stimme. »Nichts Ungewöhnliches, und keine Spur dieses Predigers.«
    »Ja, du hast Recht.«
    Die Antwort kam mechanisch über seine Lippen, und doch war es, als würde sein wunderbarer Traum Risse bekommen, als würde sich in den Wohlgeruch, der ihn umgab, eine andere, übel riechende Note mischen. Es war nur wenig, fast nur ein Hauch, und trotzdem begann sein Herz etwas schneller zu schlagen, und in seinem Magen breitete sich ein Gefühl aus – nur ein bisschen –, das an Übelkeit erinnerte.
    »Ja, mein Freund«, Yussuf legte ihm eine Hand auf die Schulter und strahlte ihn an, »für heute haben wir unser Soll erfüllt. Wir gehen noch zum Kochmeister, melden ihm alles, und dann gehen wir etwas essen. Was hältst du davon?«
    »Ein guter Gedanke«, antwortete Rashid. Das unangenehme Gefühl verstärkte sich. Yussuf hatte etwas gesagt, was dieses Gefühl verstärkte. Aber was? Es hatte etwas mit Essen zu tun. Würste! Natürlich, das war es. Der Geruch von Würsten in dem Speisezimmer, jenem Raum, in dem sie gewesen ist. Und jetzt erinnerte er sich auch wieder. Es war derselbe Geruch gewesen, den er vor einigen Nächten auf der Straße gerochen hatte, dort allerdings vermischt mit den Körperausdünstungen eines Menschen, der es mit der täglichen Reinigung nicht allzu genau nahm. Hatte er sich also doch nicht getäuscht ? Hatte er wirklich jemanden gesehen, der sich vor den Janitscharen versteckt hatte und der nach Würsten gerochen hat? Solchen wie sie in diesem Haus – in ihrem Haus – verzehrt wurden? Aber dann …
    »Was hast du denn, Rashid?«, fragte Yussuf besorgt. »Du machst so ein merkwürdiges Gesicht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist nichts.«
    Hatte Yussuf es etwa auch

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