Die Wächter von Jerusalem
abgegeben wurde.«
Er verließ das Speisezimmer und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Anselmo starrte sie finster an, als versuchte er allein mit der Kraft seines Blickes ein Loch durch das Holz zu brennen, um hindurchsehen zu können.
»Was haben die Janitscharen hier verloren? Was können sie nur von uns wollen?«, murmelte er vor sich hin, während er sein Tafelmesser durch die Hand wirbeln ließ wie ein Jongleur. »Wenn ich doch nur wüsste …«
In diesem Moment ging die Tür auf, und Cosimo kam zurück. Doch er war nicht allein. Einer der Janitscharen folgte ihm auf den Fersen, als wollte er jede seiner Bewegungen genau beobachten. Anne schluckte. Plötzlich kam sie sich vor wie eine sozialistische Familie im Jahre 1937 in Berlin. Auch wenn der Janitschar anstelle eines Trenchcoats eine farbenprächtige Uniform mit einer hohen, reich mit Schnüren und Quasten verzierten Mütze trug, die Anne bestimmt unter anderen Umständen zum Schmunzeln gebracht hätte.
Anselmo gab Anne ein Zeichen, und sie erhoben sich beide. Cosimo sagte etwas auf Hebräisch zu dem Soldaten, einem kleinen, etwas dicklichen Mann mit einem buschigen schwarzen Schnurrbart und einem gleichgültigen Gesichtsausdruck. Er nickte.
»Ich darf kurz übersetzen«, sagte Cosimo. »Die Janitscharen sind hier, um unser Haus zu durchsuchen.«
»Aber warum?«, fragte Anselmo. »Was suchen sie? Was haben wir denn getan?«
Cosimo hob warnend die Hand. Anselmo runzelte zornig die Augenbrauen und biss so fest die Zähne zusammen, dass die Muskeln an seinen Wangen und Schläfen arbeiteten. Aber er schwieg.
»Sie haben mir nicht gesagt, wonach sie suchen. Aber es scheint kein konkreter Verdacht gegen uns vorzuliegen.« Das sollte wohl tröstlich klingen, und dennoch hatte Anne das Gefühl , als würde sich ihr die Kehle langsam zuschnüren. Sie bekam kaum noch Luft. Wenn nun … Wenn nun jemand aus dem Haus von ihrem rätselhaften Auftauchen in der Bibliothek erzählt hatte? Wenn die Janitscharen nun nach ihr suchten ? »Bleibt ruhig und sprecht nur, wenn ihr gefragt werdet. Mit einem von den beiden habe ich erst vor kurzem am Stadttor eine Auseinandersetzung wegen meines Pferdes gehabt. Trotzdem sind sie bislang sehr höflich gewesen. Vielleicht erinnert der Bursche sich nicht mehr daran. Und wenn wir ihm und seinem Kameraden keinen Grund geben, wütend zu werden , wird uns – so hoffe ich wenigstens – auch nichts passieren .« Cosimo sah Anselmo noch mal warnend an, dann ging er einen Schritt zur Seite und ließ den Janitscharen an sich vorbei ins Speisezimmer treten.
Der Blick des Soldaten glitt zuerst über Anselmo und Anne, dann über den Tisch. Es war ein flüchtiger Blick, so als hielte er das Ganze für ebenso lästig wie überflüssig. Er zuckte mit den Schultern, sagte etwas zu Cosimo und wandte sich zum Gehen. Cosimo lächelte, und Annes Puls begann sich wieder zu normalisieren. Es war vorbei. Was auch immer die Janitscharen gesucht hatten, hier schien es nicht zu sein. Sie atmete auf. Bestimmt würden sie gleich verschwinden, und dann hatten sie wieder ihre Ruhe.
In diesem Moment kam der zweite Janitschar herein. Er war größer und schlanker als sein Kamerad, und unter seiner hohen Mütze schauten Büschel von hellen, fast blonden Haaren heraus. Die beiden Männer wechselten einige Worte miteinander , und der Blonde schüttelte den Kopf. Doch plötzlich schien etwas seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er schob seinen Kameraden zur Seite, ging mit langen Schritten zum Tisch und hob den Deckel der Schüssel, in der die immer noch heißen Würste lagen. Er runzelte die Stirn, dann betrachtete er zuerst Anselmo mit einem forschenden Blick und danach Anne.
Das kann nicht wahr sein, zuckte es noch durch Annes Hirn, bevor alles andere aussetzte – ihr Herzschlag, ihr Atem, ihre Gedanken. Sie fühlte sich, als hätte ein glühender Pfeil sie mitten ins Herz getroffen, und wie paralysiert stand sie da. Zeit? Was war schon Zeit. Bis in alle Ewigkeit hätte sie hier stehen bleiben und in diese Augen schauen können. Es waren die blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte.
»Rashid!«
Der andere Janitschar zupfte seinen Kameraden behutsam am Ärmel. Langsam und widerwillig, als würde auch er aus einem Traum erwachen, wandte er den Blick von Anne ab. Sein Kamerad sprach noch kurz mit Cosimo, dann verabschiedeten sie sich.
Anne ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Es überraschte sie, dass ihre Beine sie offensichtlich die ganze
Weitere Kostenlose Bücher