Die Wächter von Jerusalem
ich vermute, dass Euer Besuch keinen offiziellen Grund hat und Ihr deshalb Eure gewöhnliche Kleidung wähltet. Seid Ihr vielleicht gekommen, um mit mir über Eure Affäre mit meiner Cousine Anne zu reden?«
Die Worte, so leicht und locker dahingesprochen wie frisch gefallener Schnee, verfehlten ihre Wirkung nicht. Rashid wurde blass. Er verschluckte sich, hustete, und Cosimo hätte Wetten darauf abschließen mögen, dass ihm das Teeglas aus der Hand gefallen wäre, wenn er nicht über erstaunlich gute Reflexe verfügt hätte.
»Ihr …« Seine Stimme war so heiser, dass er sich räuspern musste. »Ihr macht wenig Umschweife, Cosimo.«
»Das Leben ist kurz, mein junger Freund«, erwiderte er ruhig, ohne seinen Blick von Rashid abzuwenden. War er nur nervös wie ein junger Mann, der um die Hand seiner Liebsten anhielt? Hatte er Angst oder ein schlechtes Gewissen? »Wir sollten dieses Leben nicht mit unnötigem Gerede verplempern .«
Rashid drehte sein Glas in den Händen, den Blick auf sein linkes Handgelenk gerichtet, dessen Narben gewiss von Fechtübungen herrührten. Cosimo erinnerte sich an die Gesetze der Moslems. Diebe wurden mit dem Verlust einer Hand bestraft. Galt dies auch für unerwünschte Liebhaber? Überlegte Rashid gerade in diesem Moment, an welcher Stelle das Beil des Henkers wohl ansetzen würde? Oder dachte er nur darüber nach, wie er sich am geschicktesten aus der Affäre ziehen konnte?
Rashid stellte das Teeglas auf dem Tisch neben sich ab und sah Cosimo offen ins Gesicht.
»Ich liebe Eure Cousine«, sagte er und schaute kurz zu Anne. Cosimo folgte seinem Blick. Anne war bleich und sah ängstlich aus. Sie sprach nur wenige Worte Hebräisch und hatte wahrscheinlich kaum verstanden, worum es ging. Aber sie war klug genug, um es zu ahnen. Gewiss stand sie jetzt Höllenqualen aus. »Ich liebe sie von ganzem Herzen. Anne ist mein Leben. Ich weiß, dass mir derartige Gefühle nicht zustehen . Und wenn ich dadurch Eure Gefühle oder gar Eure eigenen Ansprüche auf sie verletzt haben sollte, so tut es mir Leid, doch es ändert nichts. Wenigstens nicht für mich.« Er schluckte, sein Gesicht war blass. Aber in seinen Augen stand eine Entschlossenheit, die Cosimo seltsam berührte. »Es steht Euch natürlich frei, Genugtuung von mir zu fordern. Und ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen, wie auch immer sie aussehen mögen.«
Cosimo sah Rashid nachdenklich an. Wie alt mochte er sein? Zwanzig, bestenfalls fünfundzwanzig. Er war jung, fast noch ein Kind im Vergleich zu ihm selbst. Und doch war er in der Lage, so zu lieben, dass er bereit war, für seine Liebe zu sterben. Wer konnte das schon von sich behaupten? Dieser Junge war ein Glückspilz.
Cosimo lächelte. Er war erleichtert. Wenn er sich in einem Menschen irrte, ganz gleich, ob zum Guten oder Bösen, traf es ihn jedes Mal hart, auch wenn es im Laufe der Jahre immer seltener vorkam. Das war einer der Vorteile seines Alters. Doch kaum jemals war er so froh wie jetzt, dass ihn der erste Eindruck , den er vor ein paar Tagen von Rashid gewonnen hatte , doch nicht getäuscht hatte. Er mochte Rashid. Der junge Mann war ehrlich und aufrichtig. Er schien kein Dummkopf zu sein und hatte ohne Zweifel das nötige Temperament, das einen Menschen interessant machte. Außerdem liebte er Anne.
»Seid unbesorgt, Rashid«, sagte Cosimo jetzt in ganz normalem Ton. Es war nicht mehr nötig, weiter Theater zu spielen . »Ich werde mich weder mit Euch duellieren, noch werde ich Euch bei Eurem Vorgesetzten anschwärzen oder Euch gar vor Gericht zerren.«
»Was …« Der Janitschar runzelte verständnislos die Stirn.
»Wisst Ihr, dieses ganze Gerede von Familienehre, Anstand und Blutschande ist doch nichts als blanker Unsinn. Besonders im Zusammenhang mit der Liebe. Die Menschen wären weitaus glücklicher und die Welt somit auch friedvoller, wenn man allerorts in dieser Hinsicht vernünftiger wäre und jedem Mann und jeder Frau die Freiheit zugestehen würde, die Wahl ihres Liebsten selbst zu treffen.« Er schüttelte den Kopf. » Abgesehen davon bin ich kein Freund von Duellen und ähnlichem Unfug. Das ist in meinen Augen nichts weiter als ein Zeitvertreib für Männer, die nicht in der Lage sind, sich auf andere, geistvollere Art zu beschäftigen oder ihr Geltungsbedürfnis zu stillen.«
»Aber …«, Rashid schnappte nach Luft. Er schien nicht glauben zu können, was er eben gehört hatte. »Ihr seid gar nicht wütend?«
»Warum sollte ich denn wütend
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