Die Wächter von Jerusalem
in der Gasse verschwinden sah.«
»Elisabeth?«, fragte Cosimo ungläubig. Diese Nachricht traf ihn nun doch unerwartet. Denn sich ausgerechnet die dicke Elisabeth in ein Geheimnis verwickelt vorzustellen, war irgendwie absurd. Aber vielleicht hatte er sich ja in ihr getäuscht ? »Unsere Köchin – eine Katze im Taubenschlag? Was Ihr sagt, beinhaltet eine ziemlich schwere Anschuldigung. Seid Ihr Euch sicher, Rashid?«
Er holte tief Luft, dann sah er Cosimo gerade in die Augen.
»Ja, ich bin mir ziemlich sicher.«
Cosimo runzelte die Stirn und kaute nachdenklich auf seiner Lippe.
»Ihr müsst Recht haben«, sagte er schließlich leise. »So unwahrscheinlich es auch klingen mag. Elisabeth.« Er schüttelte den Kopf, während er seine Gedanken aussprach. »Außer uns dreien wohnen nur noch Elisabeth, Mahmud und Esther in diesem Haus. Esther ist klein und zierlich, und Mahmud ist schlank, auch wenn er bereits gebeugt umherschlurft wie ein Greis. Eure Beschreibung passt nur auf Elisabeth. Aber weshalb sollte sie sich nachts draußen auf den Straßen herumtreiben ? Sie ist Italienerin wie wir. Obwohl sie schon seit einigen Jahren in Jerusalem lebt, hat sie hier keine Verwandten oder Freunde, die sie besuchen könnte. Wenigstens keine, von denen ich wüsste. Außerdem würde sie mich dann wohl – so hoffe ich wenigstens – vorher um Erlaubnis bitten und sich nicht heimlich davonstehlen.« Er stand auf und begann durch das Zimmer zu wandern. Meistens konnte er seine Gedanken dann besser ordnen. »Aber es muss Elisabeth sein. Wer denn sonst? Sie ist unsere Köchin. Sie hat die Würste hergestellt. Ich erinnere mich, dass sie sich damit gebrüstet hat, wie lange sie in der Küche gestanden und eigenhändig den Wurstteig geknetet hat, weil man diese Würste nirgendwo kaufen könne.« Er nickte. »Natürlich haftete der Geruch auch noch in der Nacht an ihrer Kleidung, sodass Rashid ihn wahrnehmen konnte, als sie sich vor den Janitscharen versteckte. Die Frage bleibt nur, was sie dort mitten in der Nacht zu suchen hatte. Und wie wir das beweisen wollen – nur für den Fall, dass es nötig werden sollte.«
»Das wird nicht schwierig sein«, sagte Rashid und holte etwas aus einem kleinen Beutel, der an seinem Gürtel hing. »Dies hier habe ich in jener Nacht von der Straße aufgelesen. Er lag direkt vor dem Durchgang, in dem die unbekannte Person sich versteckt hielt.«
Auf seiner ausgestreckten Hand lag ein Amethyst. Cosimo nahm den Edelstein und betrachtete ihn eingehend.
»Ich habe vorhin das Kreuz gesehen, das Eure Köchin trägt«, fuhr Rashid fort. »Es ist ein Kreuz aus Amethysten, und einer der Steine fehlt. Es wäre einen Versuch wert, herauszufinden , ob dieser Amethyst in die Lücke passt.«
Cosimo runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich bin mir fast sicher, dass er passt. Trotzdem will mir immer noch nicht in den Kopf, was Elisabeth nachts auf die Straße treibt.«
»Hört Ihr denn nie zu, Vater, wenn sie über Mahmud oder Esther schimpft, über ihre Sitten, ihre Bräuche oder ihren Glauben? Oder wenn sie davon spricht, dass die Stadt endlich von den›Feinden des Herrn‹ gesäubert werden müsste?« Anselmo runzelte die Stirn. »Ich mag mich täuschen, aber ich habe den Eindruck, dass ihre Beschimpfungen und Verleumdungen in den vergangenen Wochen an Lautstärke und Häufigkeit zugenommen haben. Wäre es nicht denkbar, dass sie zu Giacomos Anhängern gehört und dass sie sich heimlich in der Nacht mit Gleichgesinnten trifft?«
Rashid senkte den Blick, als würde er sich selbst für die schlechten Nachrichten verantwortlich machen.
»Euch trifft keine Schuld, Rashid«, sagte Cosimo.
Er setzte sich wieder und drehte geistesabwesend den Edelstein zwischen seinen Fingern hin und her. Natürlich war ihm das Fehlen des Edelsteins aufgefallen, aber seit wann? Während er versuchte sich daran zu erinnern, hielt er den Amethyst gegen das Licht. Es war ein außergewöhnlich schöner Stein, klar, von einem satten Violett und herrlich geschliffen , sodass sich das Licht in ihm brach und Funken sprühte. Er war von ebenso ausgesuchter Qualität wie die Steine in Elisabeths Kreuz. Ja, es konnte wirklich mehr als zwei Wochen her sein, dass der Stein fehlte. Seit jener Nacht. Cosimo rieb sich die Stirn. Elisabeth, die Katze im Taubenschlag. Das war ein seltsamer, ein beunruhigender Gedanke. Plötzlich fühlte er sich alt, sehr alt. Fast so alt wie ein achtzigjähriger Greis. Der ich im Grunde auch bin, dachte
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