Die Wächter von Jerusalem
gefährlich.
»Ich wollte nur sagen: Nie und nimmer kann das der Grund gewesen sein, weshalb Rashid zu uns gekommen ist«, erklärte Cosimo und versuchte seine eigene Verwirrung mit einem Lächeln zu überspielen. Außerdem vermied er es, Anselmo anzusehen. Der konnte in ihm lesen wie in einem Buch, und diese Ausrede war wirklich so schwach, dass er vermutlich nicht einmal seine leichtgläubige Großmutter damit hätte täuschen können. »Ich meine, Ihr wolltet uns doch bestimmt nicht Eure Liebe zu meiner Cousine beichten – wenigstens jetzt noch nicht. Seid doch bitte so freundlich und erzählt uns, was nun wirklich der Grund Eures späten Besuches ist.«
»Nun gut«, sagte Rashid. Seinem Blick war deutlich anzusehen , dass er Cosimo kein Wort glaubte. Aber er schien seine Ausrede zu akzeptieren. Vielleicht nur aus Höflichkeit, vielleicht aber auch aus Mitleid. »Ihr habt Recht, Cosimo. Denn um ehrlich zu sein, kam ich, um Euch von dem Erfolg meiner Nachforschungen zu berichten.« Er räusperte sich. »Leider habe ich keine guten Nachrichten für Euch.«
Cosimo hätte am liebsten laut gelacht. Schlechte Nachrichten . Er war daran gewöhnt. Seit er und Giacomo in dem kleinen Alchemielabor eines mit seiner Familie befreundeten Apothekers zum ersten Mal das Elixier der Ewigkeit gebraut hatten , hatte es keine guten Nachrichten mehr für ihn gegeben. Eine Botschaft war schlimmer gewesen als die vorherige. Und dass sein Geschäft wuchs und sich sein Reichtum unablässig vermehrte, bedeutete ihm nichts. Aber der Gedanke an Giacomo und die Lösung eines Problems würden ihn ablenken und die lockende, verführerische Stimme in den Hintergrund drängen. Wenigstens für einige Zeit.
»Ihr habt keinen Fleischer in ganz Jerusalem gefunden, der solche Würste herstellt, wie wir sie in diesem Haus gegessen haben«, sagte er. »Habe ich Recht?«
Rashid nickte. »Genauso ist es. Obgleich ich überall gesucht habe. Aber nicht einmal auf dem Markt hatte ich Erfolg. Obwohl auch Händler von weit her kommen, um ihre Waren anzubieten.«
»Ihr wollt also damit sagen, dass derjenige, den Ihr in der Nacht beobachtet habt, jemand aus unserem Haus gewesen sein muss.«
»Nein, das muss es gar nicht heißen«, widersprach Rashid hastig. Das schlechte Gewissen war ihm deutlich anzusehen. »Vielleicht hat ja eine andere Familie …«
»Gebt Euch keine Mühe, Rashid«, sagte Cosimo. »Was Ihr herausgefunden habt, deckt sich nämlich mit unseren eigenen Nachforschungen. Nicht wahr, Anselmo?«
Anselmo nickte.
»Unsere Köchin stellt diese Würste selbst her, nach einem alten Rezept ihrer Großmutter.« Er zuckte mit den Schultern. »Es gibt wohl in ganz Jerusalem, vielleicht sogar auf der ganzen Welt keinen anderen Haushalt, in dem diese Würste gegessen werden.«
»Aber damit sind die schlechten Nachrichten noch nicht beendet.« Rashid räusperte sich. »Vergangene Nacht …« Er brach ab und errötete bis unter die Haarwurzeln. Cosimo unterdrückte ein Schmunzeln. Offensichtlich bereitete es dem jungen Mann Schwierigkeiten, zuzugeben, dass er ohne Erlaubnis in sein Haus eingedrungen war, um mit Anne eine leidenschaftliche Nacht zu verbringen. Dabei wusste er bereits alles. Er hatte in dieser Nacht mal wieder nicht schlafen können und am Fenster der Bibliothek gestanden, während der Tag langsam erwachte. Er hatte zugesehen, wie Rashid über die Mauer geklettert war.
»Ja?« Cosimo versuchte sein Wissen zu verbergen. »Was war vergangene Nacht?«
»Nun«, Rashid schluckte. »Ich war letzte Nacht hier. In Eurem Haus.« Cosimo hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. Anselmo lächelte anzüglich, während Rashid sich auf das Muster des Teppichs zu seinen Füßen konzentrierte. »Ich bin über die hintere Mauer geklettert. Dabei habe ich eine ziemlich kleine, unförmige Gestalt beobachtet, die sich an Eurer Stalltür zu schaffen machte. Sie ging hinein, durchquerte dann den Innenhof und verschwand im Haus.« Rashid fuhr sich durchs Haar. »Die Bewegungen dieser Gestalt sahen recht eigentümlich aus. Und vorhin habe ich sie wiedergesehen. Hier in diesem Raum. Als ich kam. Es war die Frau, die das Tablett hereingebracht hat.« Er machte eine Pause. »Ich habe diese Frau beobachtet, während sie hier im Zimmer herumging und mit dem Tablett hantierte. Ich war der Meinung, ich sei ihr schon einmal begegnet, an einem anderen Ort. Und jetzt weiß ich, dass ich sie vor einiger Zeit während jener Nacht, von der ich Euch bereits erzählt habe,
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