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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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schuld an seinem Tod. Aber er würde seine Schuld sühnen. Er würde Rashids Namen wieder reinwaschen. Und Ibrahim und Omar für ihre Taten bestrafen . Sie sollten Rashids Namen nie mehr in den Schmutz ziehen können. Nie mehr.
    Lautlos erhob sich Yussuf und verließ den Schlafsaal.
    Dämonen
    Anne saß an dem niedrigen Tisch, der ihr als Schreibtisch diente, Feder, Tinte und ein leeres aufgeschlagenes Buch vor sich. Eigentlich wollte sie sich Notizen machen, ihre Gedanken ordnen. Stattdessen sah sie zu, wie der Schatten des Feigenbaumes immer weiter durch ihr Zimmer wanderte. Es war kaum zu fassen. Sie war allein mit Rashid in einem Zimmer , draußen schien die Sonne, und trotzdem konnte sie sich nicht wirklich darüber freuen. Rashid war nervös und gereizt, und mittlerweile lagen auch ihre Nerven blank. Anne klappte das Buch zu und beobachtete Rashid, der ruhelos im Zimmer auf und ab wanderte – vom Bett zum Kamin, vom Kamin zur Tür, von der Tür wieder zum Bett. Wenn sie etwas zu ihm sagte, hörte er kaum zu, und Antworten bekam sie keine. Er wanderte nur stumm hin und her, hin und her, wie ein Tiger im Käfig. Allmählich begann sie sich Sorgen um ihn zu machen.
    »Ich kann nicht mehr«, stieß er so plötzlich hervor, dass Anne zusammenzuckte und beinahe das Tintenfass umgestoßen hätte. »Ich halte das nicht mehr aus. Ich muss hier raus!«
    »Das geht nicht, Rashid«, erwiderte Anne und versuchte ihren letzten Rest Geduld zusammenzukratzen. Wenigstens sagte er etwas, das war doch schon mal ein Fortschritt. »Und du weißt das ebenso gut wie ich. Solange die Truppen des Sultans nicht in Jerusalem eingetroffen sind, solange Omar und Ibrahim noch frei herumlaufen, ist es für dich da draußen zu gefährlich.«
    »Ach, das ist doch …«
    »Lächerlich? So, findest du das?« Anne erhob sich und trat zu ihm. »Alle Janitscharen glauben, dass du tot bist, Rashid. Was meinst du, was geschieht, wenn du einem von ihnen auf dem Marktplatz oder auf dem Basar in die Arme läufst?«
    Er antwortete nicht, sondern trommelte nur mit den Fingern gegen den Kaminsims. Nervös wie ein Rennpferd, das den ganzen Winter über im Stall gestanden hatte.
    »Ich … ich werde aufpassen. Ich werde mich verkleiden. Ich …«
    »Das geht nicht, Rashid. So vorsichtig kannst du gar nicht sein, dass dich niemand …«
    »Verdammt!«, schrie er und schlug mit der Faust gegen den Kaminsims, sodass ein Stück des Mörtels herausbrach. »Alle können etwas tun. Du versuchst mit Cosimo das Geheimnis dieses Pergamentes zu lüften. Anselmo darf herausfinden, wo sich dieser Pater Giacomo versteckt. Nur ich sitze hier fest und starre die Wände an. Weißt du, wie viele schadhafte Stellen der Putz der Zimmerdecke hat? Siebenundsechzig. Ich habe jede Einzelne gezählt. Und das mehrmals. Ich werde hier verrückt , Anne!«
    Er stützte sich mit dem Ellbogen auf den Kaminsims und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Annes Zorn verrauchte, ehe er richtig aufgeflackert war. Sie konnte sich vorstellen, wie schwer es ihm fallen musste, nichts zu tun. Er war es nicht gewohnt , mehr als einen Nachmittag keine Aufgabe zu haben. Und jetzt hatte er noch nicht einmal die Möglichkeit, ins Bad zu gehen oder andere Leute zu treffen. Selbst die Mahlzeiten nahm er in diesem Zimmer ein, und wenn Esther kam, um das Bett zu richten oder frische Wäsche zu bringen, musste Rashid sich in dem schmalen venezianischen Schrank verstecken, der in einer Ecke stand. Auch wenn ihr Gemach bestimmt angenehmer war als die Zelle im Kerker des Statthalters, so hatte sich im Grunde an seiner Lage nichts geändert. Er war eingesperrt , ein Gefangener. Und niemand konnte sagen, wie lange dieser Zustand noch andauern würde.
    »Es tut mir Leid, Anne«, sagte er leise. »Ich wollte dich nicht anschreien, aber …«
    Er presste die Lippen zusammen und schloss die Augen. Eine Träne quoll unter seinen Lidern hervor und rollte über seine Wange.
    »Glaub mir, ich weiß, dass es schwer ist«, sagte sie und nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Aber du lebst. Und wir sind zusammen. Ist das etwa nichts?«
    »So habe ich es mir aber nicht vorgestellt, Anne.« Er umarmte sie und drückte sie so fest an sich, als hätte er Angst, ohne sie zu ertrinken.
    »Nur noch ein paar Tage, Rashid. Ein paar Tage, dann sind die Truppen des Sultans hier.«
    »Ja, ein paar Tage. Wenn ich nicht vorher durchdrehe und als tanzender Irrer durch die Straßen springe.«
    Anne musste lächeln. »Zeig mir deine Hand. Du

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