Die Wächter von Jerusalem
Eure offizielle Version sein. Soll Ibrahim doch über Rashids Tod denken, was er will. Vielleicht glaubt er ja, dass einer seiner Vertrauten es gewesen ist, um Rashid zum Schweigen zu bringen. Lasst Ibrahim unbesorgt die ausgeräucherte Zelle und die verkohlte Leiche in Augenschein nehmen. Rashid hat zu diesem Zeitpunkt bereits sein Äußeres verändert und wird hier bei mir in Sicherheit sein.«
Anselmo warf Anne einen triumphierenden Blick zu, als wollte er sagen: »Und, habe ich Recht, dass man Cosimo vertrauen kann.«
»Und woher beschafft Ihr Euch eine Leiche? Ibrahim wird bestimmt Verdacht schöpfen und jeden einzelnen Knochen sehen wollen.«
Cosimo zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Das dürfte kein Problem sein. Sterben nicht täglich genug Namen- und Mittellose auf den Straßen der Stadt?«
Der Statthalter schwieg einen Augenblick, dann nickte er. »Das scheint ein guter Plan zu sein. Und wann wollen wir ihn durchführen?«
»Je eher, desto besser«, sagte Cosimo, und Anne hätte am liebsten bravo geschrien. Vor ihren Augen entstanden Bilder von dunklen, fensterlosen, engen Zellen mit feuchten Wänden , in denen es vor Ratten, Ungeziefer und Krankheitserregern nur so wimmelte. Und der Gedanke, dass Rashid in einem dieser finsteren Verliese gefangen gehalten wurde, war ihr unerträglich, auch wenn die Absichten noch so ehrenhaft sein mochten. »Dennoch brauchen wir etwas Zeit für die Vorbereitungen . Außerdem würde ein Feuer in einer der Zellen Eures Verlieses bei Tage gewiss zu schnell bemerkt, und wir können es uns nicht leisten, dass das Feuer gelöscht wird, solange die Leiche noch erkennbar ist. Deshalb schlage ich morgen Nacht vor. Weiht Rashid in den Plan ein. Er wird wissen, was zu tun ist, damit alles möglichst echt wirkt. Und dann bringt Ihr ihn hierher.«
»Ihr wollt nicht dabei sein?«
Cosimo schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre zu gefährlich. Wenn Ihr in Eurem Kerker einen Gefangenen aufsuchen wollt, so ist das nicht weiter verdächtig. Wenn ich oder mein Sohn jedoch von einem der Gefängniswärter gesehen werden, so wird man sich Gedanken darüber machen, was wir wohl dort zu suchen haben.«
»Erneut habt Ihr Recht«, sagte der Statthalter, und seine Stimme klang, als wäre er verwundert. »Also gut, morgen Nacht bringe ich Rashid hierher.« Er machte eine Pause und trank sein Glas leer. »Ich danke Euch von ganzem Herzen. Ich bin sehr erleichtert über Eure Unterstützung in dieser Angelegenheit , auch wenn ich bereits fest damit gerechnet hatte, nach dem, was Rashid mir über Euch erzählt hat.«
»So? Was hat er denn erzählt?«
Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des Statthalters und ließ ihn auf einen Schlag zehn Jahre jünger aussehen.
»Wollt Ihr es wirklich wissen? Er sagte, Ihr wärt der seltsamste Mann, dem er je begegnet sei. Unheimlich, mit alten Augen, die nicht zu Eurem jungen Gesicht passen wollen. Aber Ihr wärt aufrichtig und außerdem ein Feind des Predigers Pater Giacomo.«
Cosimo lächelte. »Er schmeichelt mir. Aber wenigstens Letzteres stimmt.«
»Alles stimmt, jedes einzelne Wort.« Der Statthalter erhob sich. »Ich muss gehen, Cosimo de Medici. Ich darf meine Abwesenheit vom Palast nicht zu lange ausdehnen, denn noch weiß ich nicht, wem ich abgesehen von meinem Schwiegersohn noch trauen darf.« Er ergriff Cosimos Hand und drückte sie. »Ich kam mit schwerem Herzen zu Euch, und ich gehe mit leichterem. Ich danke Euch.«
»Ich begleite Euch selbst zur Tür. Und vergesst nicht Eure Verkleidung wieder anzulegen.«
Die beiden Männer waren kaum aus der Bibliothek verschwunden , als Anselmo auch schon einen verborgenen Mechanismus betätigte und die Geheimtür wieder öffnete. Anne war erleichtert, nicht nur, weil sie endlich der stickigen engen Kammer entkommen konnte, sondern vor allem, weil sie wusste, dass Rashid bald in Sicherheit sein würde.
… und Sühne
Yussuf überquerte den Kasernenhof. Er hatte gerade seinen Dienst am Tor beendet. Für den Rest des Tages hatte er nun frei. Aber die Aussicht auf einen dienstfreien Nachmittag bereitete ihm wenig Freude. Was sollte er mit den vielen Stunden anfangen, die bis zum Beginn des nächsten Dienstes noch vor ihm lagen? Hassan und Jamal hatten ihn zwar eingeladen, mit ihnen ins Bad zu gehen, aber er hatte abgelehnt. Er hatte dazu ebenso wenig Lust wie zu einer Partie Schach mit Kemal. Es gab nur einen Kameraden, mit dem er wirklich gern Schach gespielt hatte, mit dem es Spaß gemacht hatte,
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