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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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gesagt erst später erwartet. Jesse, unser Chauffeur, der Sie vom Flughafen abgeholt hat, hat mich nämlich nicht angerufen. Sonst hätte ich …«
    Anne schüttelte den Kopf. »Ich wurde nicht abgeholt«, sagte sie. »Ich habe mir am Flughafen ein Taxi genommen.«
    »Oh, aber dann …« Sharon wirkte bestürzt. »Herr Mecidea bat uns, Sie am Flughafen zu empfangen, um Ihnen Ihre Reise so angenehm wie möglich zu machen. Einige von den Taxifahrern haben einen geradezu lebensgefährlichen Fahrstil und ein sehr aufdringliches Wesen. Und sauber sind die Wagen auch nicht immer. Vermutlich ist Jesse mit unserem Wagen im Jerusalemer Verkehr stecken geblieben.«
    Aha, dachte Anne nicht ohne Genugtuung, die Macht von Cosimo de Medici reicht also wenigstens nicht bis in den letzten Winkel der Welt. Vor dem Verkehr dieser Stadt muss sogar er kapitulieren.
    Das Telefon auf dem Tresen klingelte. Anne konnte zwar nicht verstehen, worum es bei dem Telefonat ging, da Sharon hebräisch sprach, doch sie konnte es sich lebhaft vorstellen. Die Stimme der jungen Frau klang verärgert und ungeduldig.
    »In der Tat stand Jesse wegen einer Straßensperre eine ganze Weile im Stau«, sagte sie, nachdem sie aufgelegt hatte, und bestätigte damit Annes Vermutung. »Er war eben ganz aufgeregt, da er Sie auf dem Flughafen nicht angetroffen hat. Ich hoffe, Sie verzeihen uns diese Panne.«
    »Natürlich«, erwiderte Anne und erwähnte mit keiner Silbe , dass Sie keineswegs damit gerechnet hatte, am Flughafen abgeholt zu werden. Vermutlich hätte sie das Schild des Hotels sogar übersehen.
    »Ich werde Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen«, sagte Sharon und nahm Annes Koffer in die Hand. »Folgen Sie mir bitte.«
    »Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch«, sagte Anne, während sie durch einen schmalen, gut beleuchteten Flur in den hinteren Teil des Hauses gingen. »Haben Sie mal in Deutschland gelebt?«
    »Nein«, antwortete Sharon und schüttelte lachend den Kopf. »Ich hatte zwar vor, in Deutschland zu studieren, aber meine Eltern waren dagegen. Ich habe die deutsche Sprache von meiner Großmutter gelernt. Sie kam nach Jerusalem, gleich nachdem Israel zum unabhängigen Staat erklärt wurde . Doch das Heimweh nach Berlin hat sie nie ganz verlassen. Bis zu ihrem Tod war es ihr größter Wunsch, noch einmal in ihre alte Heimat zurückzukehren, doch leider hat es nicht mehr geklappt.«
    Anne lief es kalt den Rücken hinunter. Als Deutsche konnte man sich nicht verstecken. Wo man ging und stand, wurde man mit der Vergangenheit konfrontiert, ganz gleich, wie alt man war. Das ist wohl mit dem Begriff Erbsünde gemeint, dachte Anne und schwieg.
    »So, das ist Ihr Zimmer«, sagte Sharon und öffnete eine schlichte, mit großen eisernen Beschlägen versehene Tür. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen.«
    Das Sonnenlicht flutete durch die hohen, bis zum Boden reichenden Fenster herein und verlieh dem hellen, in einer Mischung aus Moderne und orientalischer Klassik eingerichteten Raum einen ganz besonderen Reiz. Anne fühlte sich auf Anhieb wohl.
    »Das Haus wurde Mitte des 15. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung von einer italienischen Kaufmannsfamilie erbaut , die es fast hundert Jahre lang als Handelskontor und Wohnhaus benutzt hat – daher auch der Name. Alten Aufzeichnungen nach war dieses Zimmer die Bibliothek oder das Arbeitszimmer. Und hier«, sagte Sharon, ging quer durch den Raum und öffnete eine schmale Tür neben dem Kamin, »hier befand sich einst eine Geheimkammer mit einem Durchgang zum nächsten Zimmer. Ich stelle mir manchmal vor, dass die italienischen Kaufleute ihre Geschäftspartner erst einmal in der Bibliothek warten ließen und ihre Gespräche belauschten, bevor sie mit ihnen verhandelten. Aber sie brauchen nichts zu befürchten. Als das Haus vor zwanzig Jahren zum Hotel umgebaut wurde, ließ der Besitzer den Durchgang zumauern und in der Kammer ein Bad installieren. Sie sind also vor unliebsamen Überraschungen sicher. Hier tritt kein Mann aus der Wand heraus.«
    Anne runzelte unwillkürlich die Stirn. Giacomo de Pazzi war durch eine Geheimtür ins Zimmer gekommen, als er ihr ihren Sohn weggenommen hatte. Wollte Sharon etwa darauf anspielen? Aber das würde bedeuten, dass Cosimo sie eingeweiht hatte. Oder gehörte sie sogar zu ihm? Hatte sie ebenso wie Anselmo das Elixier getrunken und diente Cosimo nun schon seit vielen hundert Jahren?
    Noch während Anne darüber nachgrübelte, ging Sharon zu einem der Fenster und öffnete beide Flügel,

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