Die Waechter von Marstrand
einer der Männer. Langsam hatten sie das Netz immer näher an das Ufer gezogen, als plötzlich eine andere Gruppe auftauchte und mir nichts, dir nichts ein Treibnetz von oben auf den Schwarm warf. So konnten sie die Heringe einfach herausfischen. Agnes verstand dieWut der Männer sehr gut und wunderte sich nicht über die derben Ausdrücke, die durch die Wände an ihr Ohr drangen. Am Ende bewegte Vater die beiden Gruppen offenbar zu einer Einigung, und Agnes kehrte an ihren Schreibtisch zurück.
Als Vater in der Tür stand, warf er ihr einen erstaunten Blick zu.
»Vater.« Agnes zögerte.
»Was machst du denn hier, liebe Agnes? Hast du denn jetzt nicht andere Dinge zu tun?«
»Und was ist mit der Verschiffung nach Marstrand, Vater?«
»Darum kümmere ich mich, meine Liebe. Kümmere du dich um deine Brauttruhe. In Zukunft wirst du dich nicht mehr mit Verschiffungen und Kontorsarbeit beschäftigen. Du musst gemeinsam mit Josefina die Hochzeit planen.« Er hielt ihr die Tür auf, und Agnes verließ nachdenklich das Kontor.
Als Agnes zur Kirche in Bro ritt, schien die Vormittagssonne über die Felder. Die weiße Steinkirche strahlte in der Sonne, als hätte ihre äußere Hülle eine besondere Leuchtkraft.
Sie strich mit der Hand über den kalten Stein des Familiengrabs.
» Ik moet gaan Oma. Ich muss gehen. Du bist die einzige, die mich verstanden hätte.«
Ein Rotmilan flog aus einer der alten Buchen auf, segelte lautlos ganz nah an ihr vorüber und verschwand in Richtung Bucht. Großmutter hatte ihr etwas aus ihrer Kindheit in Holland über diese Vögel erzählt, die dort rode wouw hießen. Sie hatte sich gefreut, dass die Vögel auch hier vorkamen und eine Art Band zwischen Schweden und Holland darstellten. Es erschien Agnes nahezu wie ein Zeichen, dass der Rotmilan an ihr vorbei- unddann auf das Meer hinausgeflogen war. Was willst du mir damit sagen, Großmutter? Soll ich wirklich gehen? Ich weiß, wann die Schiffe kommen, wann sie ablegen und wohin sie fahren, überlegte Agnes. Erst gestern hatte sie einem Angestellten der Trankocherei ein Zeugnis ausgestellt, weil er in Mollösund eine neue Arbeit antreten wollte. Sie hätte auch sich selbst ein Zeugnis schreiben können, doch als Frau brauchte sie eine Begleitung. Alternativ konnte sie als Mann reisen. Würde sie als Mann durchgehen? Vater sagte immer, dass man mit fast allem durchkam, wenn man nur entschieden genug auftrat. Hätte sie Vater dazu bringen können, sie weiter ihre Arbeit machen zu lassen, wäre nichts davon nötig gewesen. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
»Fräulein Agnes?« Eine vertraute Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Hastig stand Agnes auf und nickte dem Pastor zu.
»Guten Tag.«
»Sprechen Sie mit Ihrer Großmutter?«
Agnes nickte.
»Wenn der Tag einst kommt, werden Sie jedoch im Innern der Kirche in der Grabkammer der Familie Strömstierna liegen, nicht wahr?« Er deutete auf den rötlichen Stein, unter dem Großmutter ruhte. Agnes wurde es eiskalt. Sie hatten bereits mit dem Pastor gesprochen. Es war zu spät. Wie im Halbschlaf hörte sie sich selbst den Pastor um Hilfe bei einem Zeugnis für einen Angestellten der Trankocherei bitten.
»Wenn Fräulein Agnes kurz warten kann, erledigen wir das sofort.«
»Danke, das ist kein Problem.« Sie würde das Zeugnis gleich ausgehändigt bekommen. Vater brauchte nichts davon zu erfahren.
»Für wen ist das Zeugnis?«
Agnes blickte zum Himmel und hielt die Luft an.
»Agne Sundberg«, sagte sie mit so fester Stimme wie möglich.
»Und welchen Beruf hat Agne Sundberg?«
Agnes überlegte schnell. Oft hießen Fassmacher mit Nachnamen Sundberg.
»Er ist Fassmacher.«
»Und wo möchte er hin?«
Das Schiff, das zur Zeit in Karlsvik beladen wurde und im Morgengrauen in südliche Richtung fahren sollte, hatte Marstrand zum Ziel. Dort würde ein Fassmacher mit Sicherheit Arbeit finden.
»Nach Marstrand.«
»Und wo kommt er her?«
»Aus Mollösund.«
Wenn man schon lügen musste, dann wählte man lieber einen Ort, den man zumindest mit eigenen Augen gesehen hatte.
»Ist Fräulein Agnes der Ansicht, dass er seinen Katechismus beherrscht?«, fragte der Pastor.
»So gut wie ich.« Agnes senkte den Blick. Wer den Pastor anlog, landete bestimmt in der Hölle. Aber sie war ja ohnehin auf dem Weg dorthin.
Mit dem Zeugnis in der Satteltasche ritt sie zur Anlegestelle, um sich zu erkundigen, ob es für den Fassmacher Agne Sundberg einen Platz auf dem Schiff nach Marstrand
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