Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
hatte gelacht und mich »Kleiner Mann« genannt.
Und Mrs. Canerton – vielleicht war sie gestorben, weil sie mir Bücher bringen wollte. Vielleicht war sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ich wusste, ich konnte nichts dafür; trotzdem durchströmte mich ein Gefühl von Schuld.
Mrs. Canerton war immer sehr freundlich gewesen. All die Bücher. Die Halloween-Partys. Die Art, wie sie lächelte. Ihr Busen in diesem Kleid, das sie letzten Halloween getragen hatte; weiß und rein, mit einem Kragen voller kleiner roter Rosen.
Kurz bevor ich einschlief, dachte ich daran, Daddy alles von den Sears & Roebuck- Bildchen und den Stofffetzen in dem Tunnel in der Hecke zu erzählen, aber ich hatte Grandma geschworen, nichts zu sagen. Ich war nicht sicher, ob es richtig gewesen war, ihr das zu schwören. Ich überlegte, ob ich den Schwur brechen sollte oder ob ich sie bitten sollte, ihn zurücknehmen zu dürfen, als der Schlaf mich übermannte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das alles nicht mehr so wichtig – und mit der Zeit schien Grandma die ganze Sache zu vergessen. Sie hatte eine neue Beschäftigung gefunden: Mr. Groon. Sie fing sogar an, Dinge zu tun, die die Leute in der Stadt wenig damenhaft fanden: Sie trieb sich in seinem Geschäft herum, traf sich permanent mit ihm, half ihm, die Regale aufzufüllen und bei anderen Dingen in seinem Laden, ohne Geld dafür zu nehmen.
Von Zeit zu Zeit schlichen Tom und ich uns davon und gingen runter zu Moses alter Hütte. Manchmal hing wieder ein Fisch an dem Nagel oder irgendwelche merkwürdigen Fundsachen aus dem Fluss.
Ich glaubte, jemand bringe Mose Geschenke; jemand, der nicht wusste, dass er tot war. Vielleicht wurden die Sachen aber auch aus einem anderen Grund dorthin gebracht.
Pflichtschuldig nahmen wir jedes Mal die Sachen vom Nagel und warfen sie zurück in den Fluss – und fragten uns, ob es der Ziegenmann war, der all diese seltsamen Gaben brachte, und wenn ja, warum tat er das? Konnte ein solches Monster Mose gemocht haben? Oder waren das alles Gunstgeschenke für den Teufel, wie in Miss Maggies Geschichte über den Reisenden? Es war kein Whiskey dabei, in den jemand reingepinkelt hatte – aber wer wusste schon, ob der Teufel nicht auch an Fisch und Abfall aus dem Fluss Gefallen fand?
Wir sahen uns nach Hinweisen um, die auf den Ziegenmann hindeuten könnten – aber alles, was wir fanden, waren Fußabdrücke von jemandem, der große Schuhe trug.
Abdrücke von Hufen fanden wir nicht.
Manchmal hatten wir beide das Gefühl, dass jemand uns beobachtete. Ich nahm jedes Mal das Schrotgewehr mit, in der Hoffnung, der Ziegenmann würde sich zeigen und ich könnte ihn mit einem Schuss außer Gefecht setzen; alle Detektivarbeit der Welt konnte nicht das tun, was ein Schrotschuss tun konnte.
Eines Tages, als wir wieder unten am Fluss waren, kam Tom ein Gedanke.
»Was, wenn man mit einer Flinte nichts gegen den Teufel ausrichten kann?«, fragte sie.
Wir gingen weg, weniger selbstsicher als vorher, Pistole hin oder her, und danach gingen wir lange Zeit nicht mehr hin. In den nächsten Tagen fragte ich mich, ob wohl wieder frischer Fisch und Sachen aus dem Fluss an dem Nagel hingen, und was der Spender wohl dachte, wenn sie noch da waren, wenn er zurückkam. Oder hatte er uns die ganze Zeit beobachtet, aus dem Dickicht des Waldes? Es war ein Mysterium, das zu mächtig für meine Gedanken war, und schließlich musste ich davon ablassen.
23.
Als der Sommer fortschritt, wurde es heißer und heißer, und die Luft war so stickig, dass man sich fühlte, als habe man ein Laken doppelt um den Kopf gebunden, und manchmal schien das Laken zu rauchen und zu brennen.
Mittags wollte man sich kaum noch bewegen, und eine Zeit lang gingen wir nicht mehr zum Fluss, nicht mal, um zu fischen, und blieben nahe beim Haus.
Am Vierten Juli dieses Jahres beschloss unsere kleine Stadt, ein Fest auszurichten. Tom und ich waren sehr aufgeregt, weil es ein Feuerwerk geben sollte, Römische Lichter und das alles – und, natürlich, Unmengen an hausgemachten Köstlichkeiten.
Fast noch aufregender war, dass ein Film gezeigt werden sollte.
Die Leute dachten immer noch über den Mörder nach, es wurde immer noch über ihn geredet und spekuliert, aber die meisten hatten sich darauf geeinigt, dass es Red gewesen sein müsse. Sein Auto war gefunden worden, und aus seinem Haus hatte er nichts mitgenommen, deshalb ging das Gerücht, er habe sich Hals über Kopf davongemacht, weil
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