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Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Titel: Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Licht, bevor er erlosch, konnte ich Toms lächelndes Gesicht sehen und Cecil, dessen Hände auf ihrer Schulter lagen und der sie im Takt der Musik auf seinen Knien schaukelte. Daneben, vor einem mit Essen beladenen Tisch, stand Dr. Stephenson, die Hände in den Hosentaschen.
    Ich hatte ihn schon früher bemerkt, wie er zwischen den Tanzenden umhergegangen war – er selbst hatte nicht getanzt –, als wolle er sie mit seiner Anwesenheit bedrohen. Jetzt stand er da, mit dem üblichen, grimmigen Gesichtsausdruck, betrachtete Tom auf Cecils Knien, das Gesicht schlaff und mit Schweißperlen bedeckt. Und über und hinter ihm explodierten am Himmel die Farben.
    *
    Als wir spät in der Nacht nach Hause kamen, waren wir alle noch hellwach, und so setzten wir uns noch eine Weile unter die große Eiche und tranken Apfelwein. Es war sehr schön, aber die ganze Zeit hatte ich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden.
    Ich tastete mit den Augen den Waldrand ab – aber da war nichts. Tom schien nichts zu merken. Mama, Daddy und Grandma ebenfalls nicht. Aber das beruhigte mich nicht.
    Ein paar Minuten später tauchte ein Opossum am Waldrand auf, sah kurz herüber zu unserer kleinen Feier und verschwand wieder in der Dunkelheit. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Daddy und Mama sangen ein paar Takte, dann holte Daddy seine alte Gitarre und spielte, während Mama und Grandma ein paar Lieder sangen. Toby jaulte ab und zu dazwischen.
    Danach erzählten Grandma, Mama und Daddy uns Geschichten; Mama saß währenddessen auf Daddys Schoß. Daddy wusste eine über einen alten Revolverhelden, der zusammen mit seinem Pferd begraben worden war. Niemand außer ihm hatte das Pferd jemals geritten, und als er von der Polizei verfolgt und verwundet wurde, erschoss er erst sein Pferd und dann sich selbst, damit er nicht verhaftet und sein Pferd nicht von jemand anderem geritten würde. Er wurde an der Stelle beerdigt, wo er sich und das Pferd erschossen hatte, und Daddy sagte, die Verwandten des Mannes behaupteten, von Zeit zu Zeit presche der alte Bandit und sein Pferd in wahnsinnigem Galopp die Straße entlang – und in dem Moment, wenn sie an ihrem eigenen Grab vorbeiritten, lösten sich Reiter und Pferd in Luft auf.
    Grandma sagte, ihre Grandma habe ihr Geschichten über eine Taube erzählt, die in ein Zimmer flog, wenn darin jemand starb. In dem Moment, als der Tod eintrat, flog die Taube auf zur Zimmerdecke und wurde unsichtbar, aber noch ein paar Augenblicke lang konnte man das Schlagen ihrer Flügel hören. Ihre Grandma hatte gesagt, die Taube käme, um die Seele des Verstorbenen abzuholen.
    Mama erzählte, ein Panther habe eines Nachts eine Kutsche mit einer Frau und ihrem Baby darin gejagt. Im Mondlicht konnte die Frau sehen, wie der Panther immer näher kam. Die Pferde gerieten in Panik. Instinktiv begann die Frau, Kleidungsstücke ihres Babys auf die Straße zu werfen, um den Panther mit dem menschlichen Geruch des Stoffes abzulenken. Als der Panther von der Kleidung abgelassen hatte und die Kutsche wieder einholte, warf die Frau weitere Kleidungsstücke hinaus. Jetzt musste sie ihre eigenen Kleider hinauswerfen, und schließlich gelang es ihr, den Panther abzuhängen. Aber als die halbnackte Frau schließlich das Haus eines Freundes erreichte, stellte sie fest, dass der hintere Teil der Kutsche völlig zerkratzt war – und die Wiege ihres Babys war leer.
    Nach diesen Geschichten gingen wir nacheinander zum Plumpsklo; Grandma ging bei Tom mit, und ich wollte, dass sie auch bei mir mitging, war aber zu stolz, um zu fragen. Ich erledigte mein Geschäft schnell, im Dunkeln, im Gestank, irgendwo schrie ein Käuzchen. Ich umklammerte den Sears & Roebuck -Katalog.
    Dann wuschen wir uns, sagten einander Gute Nacht und gingen ins Bett.
    *
    Als ich im Bett war, legte ich mein Ohr an die Wand. Ich hatte das lange nicht mehr getan, aber in dieser Nacht wollte ich Mamas und Daddys Stimmen hören; ich wollte fühlen, dass sie wieder zueinander gefunden hatten und dass alles wieder gut war in der Welt.
    Ich lauschte eine Weile, sie redeten über dieses und jenes, dann fingen sie an, leiser zu sprechen, und ich hörte, wie Mama sagte: »Die Kinder werden uns hören, Liebling. Diese Wände sind wie aus Papier.«
    »Möchtest du nicht?«
    »Doch, natürlich.«
    »Die Wände waren immer schon wie aus Papier.«
    »Aber du bist nicht immer so wie heute. Du weißt schon. Du bist so … so …«
    »Wie bin ich?«
    Mama lachte.

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