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Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Titel: Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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übrig geblieben war. Sein Leben war zerschellt an einem Riff namens Mose.
    Viele von denen, die bei dem Lynchmord dabei gewesen waren, waren Daddys Kunden im Friseurladen gewesen, und wir sahen sie dort nicht mehr wieder. Die restlichen Kunden bediente meistens Cecil; Daddy hatte so wenig zu tun, dass er Cecil schließlich einen größeren Teil der Einnahmen gab und nur ab und zu vorbeischaute. Er konzentrierte sich auf die Farm, aufs Fischen und Jagen, aber er tat nicht viel von alledem.
    Mama und Grandma versuchten alles, um ihn zurück ins Leben zu bringen. Sie probierten es mit Geduld und mit Zorn. Mit aufmunternden Worten und Beschimpfungen. Sie hätten genauso gut mit einer Ente reden können; allerdings hätte eine Ente sich wenigstens aufschrecken lassen.
    Als der Frühling kam, besserte sich Daddys Zustand nur geringfügig. Er fing an zu säen, wie immer, aber er sprach nicht über die Ernteaussichten. Mama und Daddy sprachen sowieso kaum noch, aber manchmal, spät nachts, konnte ich ihn durch die Wand weinen hören; und es gibt keine Worte für den Schmerz, den man fühlt, wenn man seinen Vater weinen hört.
    Daddy blieb oft im Schlafzimmer. Seine Mahlzeiten aß er meistens allein – wenn er aß. Er sprach, aber die Worte waren vertrocknet und zerknittert, wie tote Blätter. Wenn er draußen war und uns kommen sah, stand er auf und ging weg, als hätten wir ihn bei etwas Peinlichem erwischt.
    Das Haus veränderte sich. Vorher war mir das nie aufgefallen, aber ein Haus ist eine Hülle, wie ein Körper – und wie bei einem Körper ist es die Seele, die es belebt. Und wenn wir, die Familie, die Seele waren, dann war ein großer und kraftvoller Teil dieser Seele verwundet worden.
    Das Gras wucherte mittlerweile bis zur Veranda, und der harte Boden um das Haus bröckelte, wurde weggespült und verwandelte sich in Sand. Das Wasser aus dem Brunnen schmeckte weniger süß. Wildernde Hunde rissen unsere Hühner.
    Der einzige Lichtblick war Grandma. Sie schien voller Energie, versuchte hier und da, einen Spaß zu machen, aber Daddys Düsternis war über dem Haus wie ein Baum, der bald umstürzen wird. Eines Tages, als wir Blumen auf Moses Grab stellten – Toby humpelte neben uns her –, fragte ich Grandma, ob sie glaube, dass Daddys Zustand sich bald bessern würde.
    Sie dachte nach, bevor sie antwortete. Das war nicht typisch für sie. Normalerweise antwortete sie schnell; sie wusste immer genau, was sie von einer Sache hielt und was sie dazu sagen wollte.
    Sie legte ihren Arm um mich. »Ich glaube schon, Harry. Aber dein Daddy hat einen schweren Schlag eingesteckt. Es ist ähnlich wie bei einem Mann, den ich kannte, Boris Smith, hinten in Nord-Texas. Dem hatte sein Maultier gegen den Kopf getreten. Er veränderte sich nicht sofort, aber er wurde irgendwie seltsam und blieb es für eine lange Zeit. Eines Tages dann hellte sich sein Gesicht auf, und er war wieder der Alte.«
    »Und was hat ihn gesund gemacht?«
    »Na ja, erst mal ist sein Maultier gestorben. Das munterte ihn auf. Aber ich glaube nicht, dass es nur das war.«
    »Du glaubst also, Daddy ist von diesen Leuten zu schwer verprügelt worden?«
    »Ihr seid beide zu schwer verprügelt worden. Aber das ist nicht, was ich meine. Deinem Daddy hat man in die Seele getreten, Liebes. Und dir auch. Aber du bist jung genug, um drüber wegzukommen. Jakob sollte das auch, aber ich glaube, der Tritt, den er abbekommen hat, war noch ein bisschen härter. Er meint, er hat es kommen sehen und nicht verhindern können.«
    »Aber wird er wieder in Ordnung kommen?«
    »Ich denke, ja. Aber ich will dich nicht belügen, Harry. Ich weiß es nicht genau. Boris hat sich wieder berappelt, aber es hat lange gedauert. Seine Verletzung war körperlich – und man könnte meinen, dass man sich von körperlichen Verletzungen schwerer erholt. Ich bin da nicht so sicher. Ein Tritt in die Seele kann dich auslöschen. Manche dieser armen Tröpfe in Nord-Texas zum Beispiel, die die Dürre ruiniert hat, haben alles hingeschmissen und aufgegeben. Manche haben sich berappelt und sind irgendwo hingegangen, um es noch mal zu versuchen. Sie hatten Hoffnung. Manche von ihnen werden herausfinden, dass ihre Hoffnung keine Hoffnung war, sondern nur eine Lüge, und sie werden wieder alles hinschmeißen und wieder aufgeben. Aber manche werden sich noch einmal berappeln und es noch einmal versuchen. Dein Daddy ist so. Wenn er sich berappeln kann, dann wird er’s auch tun. Ich weiß nur nicht,

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