Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
sammelte die Konservendosen vom Boden und stellte sie ins Regal. Ich stellte das Foto und das Bild aus dem Sears & Roebuck in die Mitte des Tisches. Dann setzte ich mich wieder auf den Stuhl, mit der Decke um die Schultern, machte die Taschenlampe aus und schloss die Augen.
Ich war nicht müde, schließlich war es erst Mittag, aber der trommelnde Regen, der Hagel und die Dunkelheit hatten etwas Hypnotisches. Ich hörte, wie Wasser durch das undichte Dach in eine Ecke der Hütte tropfte. Ich konzentrierte mich auf dieses Geräusch und schlief ein.
*
Ich träumte von Mose. Davon, wie sie an seine Tür hämmerten, bis er sie öffnete, wie sie ihn dann aus seinem Haus zogen; davon, wie Daddy endlich kam und Mose dachte, dass jetzt alles gut würde, aber es wurde nicht mehr gut. Die Angst, die er gehabt haben musste, die Panik vor dem Ersticken, das Gefühl, dass sein Leben erlischt, aus keinem anderen Grund als der Farbe seiner Haut.
Es klopfte. Ich war sofort hellwach.
Ich fuhr herum und sah durch das verregnete Fenster. »Grandma!«, schrie ich.
Grandma wachte auf. »Harry? Harry?«
»Da, am Fenster.«
Sie sah hin. Da war ein dunkles Gesicht im Fenster. Auf dem Kopf waren Hörner. Es sah uns durch die Fensterscheibe an und klopfte mit den Knöcheln gegen das Glas. Ströme von Regen flossen die Scheibe hinab und ließen sein Gesicht verschwimmen.
Der Ziegenmann.
Grandma setzte sich auf und versuchte, mit dem Fuß nach dem Kasten zu angeln, den sie neben das Bett gestellt hatte, und kickte ihn unter den Tisch.
Das Gesicht verschwand. Jetzt rüttelte er an der Tür. Der Holzbalken hielt. Draußen hörten wir ein Geräusch, als versuche jemand, etwas zu sagen; es klang, als habe er den Mund voller Brei. Er rüttelte noch heftiger an der Tür, und ich war sicher, dass sie aufspringen würde.
Ich kroch unter den Tisch, griff nach dem Kasten, öffnete ihn und gab ihn Grandma. Sie nahm die Pistole heraus. »Verschwinde, gottverdammt noch mal! Verschwinde, oder ich schieße durch die Tür!«
Das beeindruckte den Ziegenmann nicht. Er rüttelte weiter, und trotz ihrer Drohung schoss Grandma nicht.
Schließlich ließ er ab. Ich sah ihn, als er am Fenster vorbeiging. Einen Herzschlag später hörte ich hinter mir ein Geräusch. Das Fenster hatte kein Glas. Nur gelbes Ölpapier hing über der Öffnung. Eine dunkle Hand mit langen, gebrochenen Fingernägeln kam unter dem Tuch hervor, tastete herum, als suche der Ziegenmann einen Halt, an dem er sich in die Hütte ziehen könne. Grandma machte einen Schritt nach vorne und schlug mit dem Pistolenlauf auf die tastende Hand.
Wir hörten ein Heulen. Die Hand zog sich zurück und verschwand. Wir lauschten eine Weile. Nichts. Grandma ging zu dem Fenster und hob das Ölpapier auf der einen Seite hoch. Feuchter Wind wehte herein und ließ uns frösteln. Grandma beugte sich vorsichtig vor und sah nach draußen; dann ging sie zur anderen Seite des Ölpapiers und hob es an, beugte sich vor und schreckte schreiend zurück.
»Verflucht!«
Sie hielt sich die Hand ans Herz, als sie rückwärts zum Tisch ging. »Er war noch da draußen. Als ich ihn sah, rannte er weg.«
»Der Ziegenmann«, sagte ich.
»Fast glaub ich’s auch«, sagte Grandma.
»Er hatte Hörner, nicht wahr?«
»Er hatte … ja, da war etwas.« Grandma nahm sich einen Stuhl, und wir setzen uns an den Tisch. Die kleine Pistole lag in der Mitte des Tisches, neben dem Rahmen mit den Bildern.
*
Es muss eine Stunde später gewesen sein, als der Hagelsturm sich beruhigte, kurz danach hörte der Regen langsam auf, und der Himmel wurde heller.
»Vielleicht war es Root«, sagte Grandma.
»Mit Hörnern?«, fragte ich.
Grandma antwortete nicht darauf. Wir warteten noch ein bisschen, dann bat mich Grandma, vorsichtig den Balken von der Tür zu nehmen und sie zu öffnen. Sie hatte die Pistole im Anschlag.
Der Ziegenmann war nicht mehr da, und wir stießen einen Seufzer der Erleichterung aus. Grandma nahm ihren Kasten, und wir gingen hinaus, zurück in den Regen. Er fiel jetzt sanfter, und es war viel heller. Die Luft roch frisch, wie der erste Atem eines Neugeborenen. Die Wälder, das üppig bewachsene Flussufer sahen wunderschön aus. Die Blätter der Bäume waren saftig grün und schwer vom Regen, die verschlungenen Äste der Brombeerbüsche glitzerten und boten Unterschlupf für Kaninchen und Schlangen. Sogar der giftige Efeu, der sich um die Eichen schlängelte, war so schön und grün, dass ich ihn am liebsten
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