Die Wälder von Albion
Sie spürte Caillean an ihrer Seite und noch jemanden. War es Latis? Man nahm sie bei den Händen und führte sie hinter der Prozession der Fackeln und silbernen Glöckchen vor den hohen Erdhügel.
Eilan glaubte zu sehen, wie sie zögerte, als sie den hohen Sitz sah. Es gab einen wichtigen Grund dafür, daß sie sich nicht dorthin setzen durfte… eine Sünde, ein Vergehen gegen die Gebote… deshalb sollte sie sich nicht der Göttin nähern. Aber die beiden Priesterinnen an ihrer Seite führten sie langsam weiter, und Eilan dachte, wenn sie sich nicht an den Grund erinnern konnte, dann war es vielleicht nicht weiter wichtig.
Der heilige Stier war bereits geopfert und das Fleisch von den Priestern verteilt worden. Die Druiden hatten in ihren rituellen Gesängen von dem jungen Gott berichtet, der mit den alten Göttern kämpfte und ihnen die Ernte entriß. Mitternacht nahte, und das Orakel mußte befragt werden, um allem Volk den Spruch der Göttin für die dunkle Zeit des Jahres zu verkünden. Der Herbstmond stand leuchtend und rund am Himmel und ließ die goldenen Insignien der Hohenpriesterin geheimnisvoll schimmern.
O Göttin, sieh her zu mir und schütze mich gut, denn ich will mich dir nun ganz öffnen!
Eilan rang um die zeremoniellen Worte des Gebets.
Eine der Priesterin drückte ihr den kleinen gebogenen goldenen Dolch in die Hand. Sie mußte etwas damit tun… sie hob ihn hoch und stieß ihn schnell in ihre Fingerspitze. Der stechende Schmerz durchzuckte sie, und ein Blutstropfen quoll hervor. Sie hielt den Finger über die goldene Schale und ließ drei Tropfen hineinfallen.
Die Schale war bis zum Rand mit dem Wasser der heiligen Quelle gefüllt. Auf dem Wasser trieben Blätter der heiligen Mistel, die unberührt von Menschen zwischen Himmel und Erde wuchs und das Wesen von Blitz und Donner, von Sonne und Sternen, von Wind und Regen in sich aufnahm…
Die beiden Priesterinnen neben Eilan halfen ihr jetzt auf den hohen Sitz. Wieder überkam sie ein Schwindelgefühl beim Anblick der wartenden Menge.
Als die Priester zu singen anfingen, glaubte Eilan zu fallen oder sich mit den Klängen des Lieds in die Luft zu erheben. Ihre Bewegung hatte keine Richtung und stand in keiner Beziehung zur Wirklichkeit der Erde. Warum nur hatte sie Angst gehabt? Sie erreichte eine Sphäre, in der sie nichts wollte und nichts fühlte. Sie war einfach zufrieden in dem Bewußtsein zu leben… .
Das grelle Licht von Fackeln traf ihre Augen. Die Menschen unter ihr schienen zu einem einzigen Gesicht zu verschmelzen. Die vielen Augen, die auf sie gerichtet waren, empfand sie wie ein schweres Gewicht, wie eine große Last. Sie schien sich von ihnen allen zu entfernen… an einen Platz, der in dieser Welt, und doch nicht von dieser Welt war.
»Kinder des Don, warum seid ihr gekommen?«
Aus weiter Ferne hörte sie Cailleans Stimme.
»Wir flehen um den Segen der Göttin«, antwortete die Stimme eines Mannes.
»Dann ruft SIE… «
Eilan holte tief Luft, als ihr plötzlich Rauch in die Nase stieg… der schwere duftende Rauch brennender Kräuter. Aber dann verschlug es ihr den Atem, alles begann, sich zu drehen, und sie mußte um ihr Gleichgewicht kämpfen. Sie hörte ein Wimmern und wußte, daß sie es war, die stöhnte. Aus der Tiefe klang zu ihr der laute Ruf vieler Stimmen, die immer lauter wurden, immer lauter…
»Jägerin der Nacht… strahlende Mutter… Göttin der Blumen und des Lebens… höre uns… komm zu uns, Göttin des silbernen Rads… «
Ich bin Eilan… Eilan…
Sie klammerte sich an ihre Identität, wehrte sich gegen das Rufen der Stimmen, die sie bedrängten, sie bestürmten, bis der Druck, die Last so groß wurde, daß sie in der Brust stechende Schmerzen empfand.
Gleichzeitig spürte sie einen anderen wachsenden Druck… Kam er von oben?… Kam er aus ihrem Innern?… Etwas verlangte, von ihr eingelassen… . zugelassen zu werden. Krämpfe erfaßten sie, Zuckungen schüttelten ihren Körper, wütende Klauen schienen sie zu zerreißen, während sie kämpfte… gegen wen?
Eilan erlebte das Entsetzen, das Grauen, die Angst vor der endgültigen Auflösung, als das Ich, das sie kannte, den Kräften, die sie erfaßt hatten, sich nicht länger entziehen konnte und weichen mußte. Sie bekam keine Luft mehr.
Helft mir, ihr Götter!
Der Ruf schien vergebens, und sie sank nach vorne, sah vor sich das schimmernde Wasser, und eine Stimme in ihr klang voll und tönend.
Du bist meine Geliebte. Ich bin immer bei
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