Die Wälder von Albion
dir. Wenn du mich sehen willst, dann blicke in den heiligen Teich.
»Sieh in die Schale, Hohepriesterin des Orakels… «, befahl ihr eine andere Stimme. »Blicke in das Wasser und dann sag uns, was du siehst!«
In dem bewegten Wasser nahm ein Bild Gestalt an.
Eilan richtete die Kraft, die in ihr wirkte, auf das Bild, und es wurde hell und klar. Sie sah ein Gesicht, aber es war nicht ihr Gesicht. Erschrocken zuckte sie zurück, aber da hörte sie eine dritte Stimme.
Meine Tochter, sei ohne Sorge. Dein Geist ist bei MIR in Sicherheit…
Mit den Worten kam eine grenzenlose Liebe auf sie zu. Und Eilan überließ sich mit demselben Vertrauen, das sie Gaius geschenkt hatte, seufzend und erlöst von allen Qualen den tröstlichen Armen der Göttin.
Aus weiter Ferne sah sie, wie ihr Körper sich aufrichtete, wie sie aufstand, den Schleier aus dem Gesicht schob, die Hände hob und den Mond zu umarmen schien.
»Seht, die Göttin des Lebens ist zu uns gekommen!« rief Caillean jubelnd. »Laßt sie uns willkommen heißen!«
Der Klang zahlloser Stimmen erhob sich wie eine Woge, die Eilan umfing und trug, so daß sie ihren Körper, den sie aufgegeben hatte, gelassen betrachten konnte.
Als der Jubel sich legte, sank die Hohepriesterin auf den Sitz zurück. Die Kraft, die sie erfüllte, wartete in zeitloser Geduld auf das Anliegen der Menschen.
»Wir haben Fragen, Fragen DEINER Kinder, und bitten um DEINE Antwort, o Göttin«, rief der höchste Druide in der alten Sprache der Weisheit; und obwohl Eilan sie nie gelernt hatte, antwortete die Göttin in dieser Sprache.
Nach jeder Frage und jeder Antwort sprach der höchste Druide zu den Menschen. In der anderen Sphäre, aus der Eilan ihn hörte, schienen seine Worte seltsam zu klingen. Wenn er übersetzte, was die Göttin gesagt hatte, dann schien das, was er in IHREM Namen den Menschen zurief, kaum mit IHRER Antwort in Einklang zu stehen. Ardanos war im Begriff, etwas falsch zu machen, aber vielleicht verstand ihn Eilan auch nicht richtig. In der Geborgenheit ihrer Zuflucht schien das jedoch nicht weiter wichtig zu sein.
Die Fragen nahmen kein Ende, aber nach einer Weile beobachtete Eilan, daß ihre Wahrnehmungsfähigkeit nachließ. Schleier und Wirbel zogen auf und schoben sich zwischen die Welten.
Ardanos schien es zu bemerken. Er runzelte die Stirn und beugte sich über sie.
»Göttin, wir danken DIR für DEINE Worte. Es ist Zeit, den Körper wieder zu verlassen, durch den DU gesprochen hast. Wir verneigen uns vor DIR in Demut und Ehrfurcht. Schenke uns DEINEN Segen!«
Caillean reichte ihm einen Mistelzweig. Er tauchte ihn in die goldene Schale und besprengte Eilan mit den kalten Wassertropfen.
Eilan war wie geblendet. Ihr Körper bäumte sich auf, und sie begann, am ganzen Leib zu zittern. Schmerzen wie feine Nadelstiche durchzuckten sie, und dann versank sie auf einem Teppich silberner Glöckchen in Dunkelheit.
Als Eilan das Bewußtsein wiedererlangte, hörte sie die Priesterinnen singen. Sie kannte das Lied. Auch sie hatte es oft gesungen, aber in ihrer augenblicklichen Schwäche und Benommenheit konnte sie nicht mitsingen. Sie nahmen ihr die Blumengirlande vom Kopf, jemand kühlte ihr Stirn und Hände mit Wasser. Dann setzte man ihr einen Becher an die Lippen, und sie trank gierig, denn ihre Kehle schmerzte und war wie ausgedörrt. Jemand flüsterte ihr liebevoll etwas ins Ohr… Caillean… Eilan fühlte sich sanft hochgehoben. Man setzte sie in die Sänfte.
» Gelobt und gepriesen sei SIE «, sangen die Priesterinnen.
» Silbernes Licht in der Nacht «, antworteten die Druiden.
» Königin, Jungfrau und Mutter
Bring die Schönheit von Himmel und Sternen
Zu den Menschen auf die Erde.
Spiegelbild der Sonne
Bring uns das Licht! «
Die Priesterinnen hoben die weißen Arme zum Mond.
» Gelobt und gepriesen sei SIE «, wiederholten sie im Chor.
» Kraft, aus der wir leben «, antworteten die tiefen Stimmen der Druiden.
Ewigkeiten schienen vergangen zu sein, als Eilan erwachte und in ihrem Bett im Haus der Hohenpriesterin lag. Das Licht der Fackeln blendete sie nicht länger, und die Wirkungen des Zaubertranks ließen langsam nach. Eilan konnte wieder klar denken. Irgendwoher tönte noch in ihrem Kopf das Lied der Priesterinnen, mit dem sie die Zeremonie beendet hatten.
» Wir nehmen die heiligen Geräte, wir verbrennen die geweihten Blumen… «
Aber um sie herum war alles still. Eilan wußte, daß die Blumengirlande, die sie getragen hatte, ins
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