Die Wälder von Albion
freundlich aufgenommen, wenn sie in einer Siedlung der Einheimischen Unterkunft finden mußten.
Je weiter Gaius nach Norden kam, desto mehr wurde über den Feldzug Agricolas gesprochen. Ein Veteran, der erst seit kurzem den aktiven Dienst verlassen hatte und eine der Poststationen verwaltete, erzählte Gaius, daß im vergangenen Jahr das Auftauchen einer römischen Flotte vor der caledonischen Küste die Einheimischen in solche Panik versetzt hatte, daß sie in ihrer Verzweiflung plötzlich angriffen. Es gelang ihnen, die Neunte Legion zu überrennen, bis Agricola seine Reiterei einsetzte und die Caledonier im Rücken angriff.
»Es sah schlecht aus, junger Mann, sehr schlecht«, erzählte der Veteran. »Diese Dämonen stürmten mit Wolfsgeheul mitten in unser Lager. Die Männer fielen über die Zeltleinen und suchten ihre Waffen. Trotzdem gelang es uns irgendwie, die Stellung zu halten, und ich werde nie den Augenblick vergessen, als wir plötzlich unsere Standarten aufblitzen sahen und wußten, daß endlich der Tag anbrach… «
Er leerte noch einmal langsam den Becher Wein und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Aber dann hatten wir uns wieder besonnen und kämpften wie die Löwen. Als die Zwanzigste uns schließlich zur Hilfe kam, konnten wir ihnen bereits sagen, daß sie zu spät kamen und wieder abziehen sollten! Aber der Feldherr ließ nicht locker. Wenn die angemalten Wilden nicht wie Geister in ihre undurchdringlichen Wälder und verseuchten Sümpfe verschwunden wären, hätten wir sie alle erledigt.« Er lachte zufrieden und sagte gönnerhaft: »Na ja, vermutlich mußten wir noch etwas für euch junge Leute übriglassen, damit ihr euch die Sporen verdienen könnt!«
Er schob Gaius den Weinkrug über den Tisch und forderte ihn auf, noch einmal auf den Feldherrn und den Sieg zu trinken.
Gaius mußte ein Lächeln unterdrücken. Er kannte die Geschichte dieser Schlacht bereits von Männern, die nach Deva zurückbeordert worden waren. Aber aus dem Mund eines Mannes, der im Lager gewesen war, als die Caledonier angriffen, klang sie etwas anders.
»Ja, Agricola ist ein großer Feldherr! Nach dem letzten Sommer singen auch die sein Lob, die zuerst nicht mitmachen wollten und die großen Gefahren beschworen. Mach dir keine Gedanken, er findet auch eine Aufgabe für dich. Dann hast du schon ein paar Auszeichnungen, wenn deine Laufbahn beginnt! Bei den Göttern, ich würde dich gerne begleiten, nur um wieder dabei zu sein! Ja wirklich… «
Licinius hatte nichts davon erwähnt, daß er unter dem Feldherrn dienen sollte. Aber Gaius überlegte plötzlich, ob die Depeschen, die er Agricola überbringen sollte, unter anderem den Zweck hatten, den großen Feldherrn auf ihn aufmerksam werden zu lassen. Als Statthalter der Provinz zeichnete sich Agricola auch dadurch aus, daß er mit seinen Prokuratoren ein gutes Verhältnis hatte. Ein lobendes Wort von Licinius mochte deshalb wirklich nicht von Schaden sein.
Im letzten Feldzug war Gaius nur einer der vielen jungen Offiziere gewesen, die sich alle im Kampf auszeichnen wollten, aber ohne die Unterstützung ihrer Centurionen eher hilflos waren.
Das Verhalten Agricolas hatte ihn beeindruckt. Aber es gab keinen Grund für den Feldherrn, sich an ihn zu erinnern.
In Gaius erwachte ein Ehrgeiz, den er glaubte vergessen zu haben. Seine Gedanken kreisten um eine Tat, mit der er sich das Lob des berühmten Feldherrn verdienen würde.
Sie ließen die Jagdgebiete der Briganten hinter sich und erreichten Land, das noch spärlicher besiedelt war. Die Menschen dort sprachen einen Dialekt, den Gaius nicht mehr verstand. Als sie über die karge Heide und durch die dichten Wälder ritten, kamen ihm wieder Zweifel an dem Sinn dieses Feldzugs.
Rom mag dieses Volk zwar erobern, aber das bedeutet noch nicht, daß es hier auch herrschen kann.
Die römische Präsenz war eigentlich nur damit zu rechtfertigen, daß die Truppen die wilden Caledonier und ihre irischen Verbündeten daran hinderten, immer wieder die reicheren Gegenden im Süden zu überfallen.
Die lange Dämmerung im Norden tauchte den Himmel in dunkles Violett, als Gaius die Festung erreichte, die die Zwanzigste Legion über dem Tava-Fjord errichtete, wo die Flotte im Sommer zuvor einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Im Schutz der hohen Palisaden wuchsen bereits die dicken Festungsmauern empor. Die Lederzelte des Feldlagers waren durch Unterkünfte und Ställe aus Holz ersetzt worden, die in
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