Die Wälder von Albion
wenn wir gegen die Römer kämpfen?«
In solchen Augenblicken fragte sich Cynric, ob es nicht besser gewesen wäre, mit Dieda davonzulaufen, als noch eine Möglichkeit dazu bestand.
Bendeigid sah Cynric in die Augen. »Du wirst nicht versagen!« erklärte er mit Nachdruck. »Die Männer dort am Feuer kämpfen nur für den Ruhm. Sie wissen nicht so viel über den Feind wie du. In der Schlacht wird dich deine Verzweiflung zum Helden machen.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Cynric, vergiß nicht, du bist einer der Raben. Morgen kämpfst du nicht für den Ruhm, sondern für die Rache!«
Gaius lag wach. Er konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Er lauschte auf den gleichmäßigen Atem der Männer und verstand nicht, was ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Ein so trockenes Bett hatte er seit langem nicht gehabt, und am nächsten Morgen erwartete ihn nicht seine erste Schlacht. Aber die anderen Kämpfe waren plötzliche Überfälle des Feindes gewesen. Da blieb keine Zeit zum Nachdenken, und der Kampf war beinahe so schnell vorbei, wie er begonnen hatte.
Gaius suchte etwas, um seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, und plötzlich erinnerte er sich an Eilan. Auf dem Ritt in den Norden hatte er an Julia gedacht, an ihre spöttischen Bemerkungen über das Land und die Leute und an die Geschichten, die er ihr erzählen wollte, um sie nach seiner Rückkehr zu unterhalten. Aber mit Julia würde er niemals über das sprechen können, was ihn in dieser Dunkelheit quälte.
Mitten unter den vielen Soldaten fühle ich mich allein… Eilan, ich möchte den Kopf an deine Brust legen und deine Arme um mich spüren… Ich bin so allein und so verlassen. Eilan, ich habe Angst!
Irgendwann fiel er in einen unruhigen Schlaf. Er träumte, mit Eilan in einer Hütte mitten im Wald zu sein. Er küßte sie und sah den gewölbten Leib, in dem das Kind heranwuchs. Sie lächelte ihn an, zog das Gewand straff, so daß er die Rundung besser sah. Er legte die Hand darauf, spürte die Bewegungen des Kindes und fand, daß Eilan nie schöner gewesen sei. Sie nahm ihn in ihre Arme und zog ihn neben sich. Sie flüsterte zärtliche Worte.
Nach dem Traum schlief Gaius tiefer. Als er erwachte, bewegten sich die Männer im Zelt. Sie zogen ihre Tuniken an und befestigten im dunstigen Grau vor Tagesanbruch ihre Rüstungen.
»Tacitus, warum läßt er die Legionen nicht Kampfstellung beziehen?« fragte Gaius leise.
Sie ritten zu den anderen Stabsoffizieren auf eine kleine Anhöhe. Die leichte Infanterie verteilte sich in einer weit gezogenen Linie am Fuß des Berges, während die Reiterei an den Flanken Aufstellung nahm. Das fahle Licht schimmerte auf dem polierten Metall der Bronzehelme und Speerspitzen und brach sich matt auf den Brustpanzern. Steiniges Weideland zog sich bis zu den unteren Hängen. Dort ging das braune Gras in breite Teppiche aus blaßviolettem Heidekraut und rotbraunem Farn über. Den größten Teil des Mons Graupius konnte man jedoch nur ahnen, denn der untere Teil des Berges war von bewaffneten Kriegern übersät.
»Wir sind zahlenmäßig unterlegen«, erhielt er als Antwort. »Wie du weißt, hat der Kaiser für seinen germanischen Feldzug Soldaten aus allen vier Legionen abgezogen. Deshalb marschieren dreitausend unserer besten Truppen gegen die Germanen, während die Chatten und Sugambrer sie auslachen. Agricola muß jeden Vorteil, den er sieht, ausnutzen, um ihre Abwesenheit auszugleichen. Er läßt die Legionen vor den Schanzen Stellung beziehen. Dort können sie uns unterstützen, wenn wir zurückfallen sollten. Aber wir hoffen, daß es nicht soweit kommt.«
»Der Kaiser hat Agricola den Befehl gegeben, das nördliche Britannien zu befrieden… «, erwiderte Gaius. »Domitian ist doch auch ein Soldat. Ist ihm denn nicht bewußt, daß… «
Tacitus lächelte, und Gaius kam sich plötzlich wie ein kleiner Junge vor.
»Manche Leute würden sagen«, erwiderte Tacitus leise, »der Kaiser weiß nur allzugut, was das bedeutet. Titus hat unseren Feldherrn für seine Erfolge in Britannien als Held geehrt. Nach diesem Feldzug ist Agricolas Zeit als Statthalter abgelaufen. Vielleicht ist Domitian der Meinung, es sei in Rom nicht Platz für zwei siegreiche Feldherren… «
Gaius blickte zu Agricola hinüber, der den Aufmarsch seiner Truppen mit Aufmerksamkeit verfolgte. Seine Rüstung, ein Schuppenpanzer über dem Harnisch, verschmolz beinahe mit den fahlen Wolkenfetzen und ließ ihn fast körperlos wirken, wenn
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