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Die Wälder von Albion

Die Wälder von Albion

Titel: Die Wälder von Albion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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nicht der wehende Helmbusch dem Auge einen Anhaltspunkt geboten hätte. Unter der Rüstung trug er eine weiße Tunika und eine helle Hose. Der weite rote Mantel blähte sich wie ein Segel.
    Bei einem Besuch in Rom las Gaius viele Jahre später in der Biographie des Tacitus die Beschreibung dieses Tages. Er mußte über die Reden lächeln, die Tacitus der Wirkung zuliebe in bester rhetorischer Tradition ausgeschmückt hatte. Sie saßen nebeneinander auf ihren Pferden und hörten beide, was der General sagte; und die Rede des Calgacus, die der Wind ihnen bruchstückhaft zutrieb, verstand Gaius zweifellos besser als Tacitus.
    Calgacus sprach als erster zu seinen Kriegern - zumindest vermuteten sie, daß er es war, denn sie sahen einen großen Mann mit Haaren, die so rot leuchteten wie ein Fuchspelz, der mit großen Schritten vor einer prächtig gekleideten Gruppe von Männern auf und ab ging. Es mußte demnach der Anführer des Feindes sein. Seine Worte brachen sich am Berghang, und das Echo trug sie über das offene Gelände.
    »… sie haben das ganze Land geschluckt, und hinter uns bleibt nur noch das Meer!« rief Calgacus und deutete nach Norden. »… laßt uns diese Ungeheuer vernichten, die unsere Frauen und Kinder als Sklaven verkaufen würden!«
    Die Caledonier brüllten zustimmend, und deshalb gingen die nächsten Sätze im Lärm unter. Als Gaius wieder etwas verstand, sprach Calgacus über den Aufstand der Icener.
    »… sie flohen vor Entsetzen, als Boudicca, eine Frau, gegen sie ins Feld zog… sie wagten nicht einmal, ihre eigenen Leute gegen uns kämpfen zu lassen! Die Gallier und unsere Brüder, die Briganten, mögen sich daran erinnern, wie die Römer sie verraten haben. Sollen die Batavier sie im Stich lassen, wie die Usipiter es getan haben!«
    Bei den Teilen der Hilfstruppen, die Calgacus verstanden, entstand Bewegung, denn er beschwor alle Caledonier, für die Freiheit zu kämpfen. Ein Wort ihres Befehlshabers beruhigte die Männer jedoch wieder.
    Die Krieger der Stämme drängten vor. Sie sangen und hoben drohend ihre Speere. Gaius bebte innerlich, denn aus diesen wilden Gesängen drang ein Ruf zu ihm herüber, der Erinnerungen in ihm weckte, die so alt waren, daß er sie kaum in Worte fassen konnte. Es waren Lieder, wie er sie bei den Silurern gehört hatte, als seine Mutter ihn noch auf den Armen trug. Die verborgene Seite seiner Seele, die Seite seiner Mutter, weinte, denn Gaius wußte um das Leid in den Bleiminen und hatte die langen Reihen der Sklaven gesehen, die zum Verkauf auf den Sklavenmärkten in Rom brutal auf die Schiffe getrieben wurden. Gaius wußte, daß Calgacus die Wahrheit sprach.
    Die Römer verstanden zwar nicht die Worte, aber den Sinn der Rede. Unter den Legionären erhob sich zorniges Murren. In diesem Augenblick, als die Disziplin, wenn auch nicht die Treue seiner Männer, in Gefahr schien, hob Agricola die Hand. Er zügelte seinen Schimmel, wendete ihn und blickte seine Soldaten an. Die Offiziere scharten sich um ihn, sie wollten seine Worte hören.
    Der General sprach ruhig wie ein verständnisvoller Vater zu einem aufgeregten Kind. Aber seine Worte hatten Gewicht. Er erinnerte an den weiten Weg, den sie gemeinsam zurückgelegt hatten, an den Mut, den alle bewiesen hatten, als sie die Grenzen der römischen Welt überschritten. Beinahe liebenswürdig, aber deutlich wies er auf die Gefahren hin, die ein Rückzug durch Feindesgebiet bedeuten würde.
    »… ein Feldherr oder ein Heer auf dem Rückzug sind niemals in Sicherheit… Ein ehrenvoller Tod ist dem Leben in Schande vorzuziehen… Wer am äußersten Rand der Erde und unter den größten Härten der Natur sein Leben verliert, für den ist das kein ruhmloses Ende.«
    In Agricolas Darstellung wurden die Caledonier, die Calgacus als die letzten freien Menschen in Britannien bezeichnet hatte, Flüchtlinge. »… dort drüben sind nur noch die Feiglinge und die Schwächsten. Endlich sind sie in eurer Reichweite, aber nicht, weil sie ihre Stellung behauptet hätten, sondern weil ihr sie in die Enge getrieben habt.«
    Als Gaius die ruhigen und souveränen Worte hörte, mit denen Agricola das caledonische Heldentum wie eine Seifenblase platzen ließ, haßte er ihn beinahe.
    Die Gedanken des Feldherren besaßen jedoch eine zwingende Logik. Agricola kam zu dem richtigen Schluß, daß ein römischer Sieg an diesem Tag das Ringen beenden würde, das fünfzig Jahre angedauert hatte, und daß danach endlich Frieden herrschen

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