Die Wälder von Albion
kleinen schwarzen Rinder der Einheimischen. Abgesehen von einem Pfeil, der an seinem Kopf vorbeizischte und irgendwo zwischen den Bäumen abgeschossen worden war, als sie einen Bachlauf überquerten, war vom Feind nichts zu spüren.
»Das ist gut für uns, aber vielleicht schlecht für das Heer«, sagte der Decurion nachdenklich, der die Eskorte anführte. »Wenn die Stämme ihre Jagdgebiete nicht bewachen, dann kann das nur bedeuten, daß sie sich schließlich doch zusammengeschlossen haben. Niemand kann leugnen, daß sie gut kämpfen, wenn sie erst einmal dazu entschlossen sind. Wenn sich die Stämme schon damals verbündet hätten, als Cäsar erschien, dann würde das Reich noch immer an der Küste Galliens enden.«
Gaius nickte und zog den dicken Mantel enger um sich. Was hatte Licinius wohl bewogen, seine Botschaften gerade in dem Augenblick durch ihn dem Statthalter der Provinz überbringen zu lassen, als sich das vielleicht größte Heer der vereinigten britischen Stämme formiert hatte, um die römischen Streitkräfte unter ihrem berühmten Feldherren, den Statthalter der Provinz Britannien, anzugreifen… ?
»Du kommst mit Nachrichten von Martius Julius Licinius? Sag mir, geht es ihm gut?«
Der Mann, der aus dem großen Lederzelt trat, war nicht besonders groß und ohne die Rüstung beinahe schlank. Trotz der Regentropfen im grau werdenden Bart und den dunklen Ringen unter den Augen strahlte er eine Autorität aus, die ihn auch ohne den purpurroten Mantel als Feldherrn verraten hätte.
»Gaius Macellius Severus Siluricus meldet sich zur Stelle!«
Er stand stramm und salutierte, ohne auf das Regenwasser zu achten, das über den Helm lief. »Dem Prokurator geht es gut. Er sendet dir die herzlichsten Grüße, und wie du vielleicht in seinen Briefen lesen wirst, Herr… «
»Gut«, sagte Agricola und nahm die Schriftrollen entgegen. »Am besten lese ich sie im Zelt, bevor sie sich in der Nässe auflösen.« Agricola sah Gaius augenzwinkernd an und sagte: »Nach dem langen Ritt mußt du auch völlig durchweicht sein. Tacitus wird dich zum Lagerfeuer der Offiziere bringen und für dein Quartier sorgen.«
Er deutete auf einen großen, verschlossen wirkenden jungen Mann. Gaius erfuhr später, daß er Agricolas Schwiegersohn war.
»Da du schon einmal hier bist, wartest du am besten das Ende der Kämpfe ab. Dann kann ich dich mit einem Bericht wieder zurückschicken.«
Gaius staunte. Er hatte das einnehmende Wesen dieses Mannes vergessen. Vielleicht aber war ihm zum ersten Mal persönlich etwas von der besonderen Ausstrahlung zuteil geworden. Tacitus legte ihm die Hand auf die Schulter, und Gaius folgte ihm steifbeinig durch den Regen, denn seine Muskeln schmerzten.
Es tat gut, mit seinen Offizierskameraden wieder einmal am Lagerfeuer sitzen. Er aß mit einem Riesenhunger die heiße Linsensuppe, das harte Brot und trank mit Genuß den sauren Wein.
Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie sehr er diese Art der Kameradschaft vermißt hatte. Nachdem die anderen Tribunen von seinen Erfahrungen während des Feldzugs im vergangenen Jahr erfahren hatten und feststellten, daß er kein Offizier war, der in Londinium höchstens einmal Truppen exerzierte, nahmen sie ihn in ihrer Runde auf. Während der Weinkrug kreiste, störte ihn nicht einmal der kalte Regen, der noch immer auf seinen Mantel fiel.
Die große Anspannung, die Gaius allgemein spürte, war nicht weiter verwunderlich. Aber die Stimmung schien bestens. Die Brustpanzer der diensthabenden Männer waren sauber und glänzten trotz des schlechten Wetters, und die Schilde waren frisch gestrichen. Die jungen Stabsoffiziere, mit denen er zusammensaß, wirkten ernst, aber nicht ängstlich.
»Glaubt ihr, es wird dem Feldherrn gelingen, Calgacus zu einer Schlacht zu stellen?« fragte Gaius.
Einer der Männer lachte. »Es wird eher andersherum kommen. Hörst du sie nicht?« Er deutete in die windige Nacht. »Sie sind dort oben auf dem Berg, heulen wie die Wölfe und malen sich blau an! Unsere Kundschafter sagen, auf dem Graupius haben sich dreißigtausend versammelt… Krieger der Votadiner und Selgoven, Novanten und Dobuner. Nicht zu vergessen die Männer der vielen anderen kleinen Clans, denen wir seit vier Jahren auf den Fersen sind. Und dann noch die Caledonier der nördlichen Stämme, deren Namen wir nicht einmal kennen.« Er lachte noch einmal: »O ja, Calgacus will die Schlacht. Es bleibt ihm nichts anderes übrig als zu kämpfen, bevor sie sich alle an die
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