Die Wälder von Albion
Ehre… und ich habe gehofft, Agricola hier in Rom wiederzusehen.«
»Soweit mir bekannt ist, befindet er sich zur Zeit auf den Besitztümern seiner Familie in Gallien«, erwiderte der Senator betont neutral. Jetzt fiel es Gaius wieder ein. Das war Marcellus Clodius Malleus.
»Man kann sich kaum vorstellen, daß Agricola nichts tut.« Gaius lachte. »Ich hätte gedacht, daß er an irgendeiner Front den Feinden Roms das Fürchten lehrt oder einer Provinz die Pax Romana bringt.«
»Ja, das könnte man glauben.« Der Senator wurde sichtlich freundlicher. »Aber du solltest nur so offen reden, wenn du genau weißt, zu wem du es sagst… «
Gaius schwieg und fühlte sich wieder auf dem Glatteis, aber Malleus lächelte.
»Viele hier in Rom schätzen Agricola sehr. Seine Fähigkeiten scheinen noch viel bewundernswerter zu sein, wenn wir wieder einmal von einem fehlgeschlagenen Feldzug hören, den einer unserer Feldherren zu verantworten hat.«
»Warum hat der Kaiser dann keine Verwendung für ihn?« fragte Gaius.
»Weil ein Sieg der römischen Truppen weniger wichtig ist als die Stärkung der Macht unseres Kaisers. Je mehr Leute nach Agricola rufen, desto mißtrauischer wird unser ›Herr und Gott‹. Im nächsten Jahr wird Agricola zum Konsul ernannt werden müssen, aber so wie die Dinge jetzt stehen, werden ihm seine Freunde dringend raten, diese Würde nicht anzunehmen.«
»Ich verstehe das Problem«, murmelte Gaius. »Agricola ist viel zu gewissenhaft, um sich bewußt eine Niederlage einzuhandeln. Aber wenn er siegt, dann fühlt sich der Kaiser durch den Erfolg bedroht.« Er lächelte. »Nun ja, in Britannien wird man ihn immer in großen Ehren halten, ungeachtet dessen, was in Rom geschehen mag.«
»Über diese Worte würde sich Tacitus sehr freuen«, sagte Malleus.
»Oh, kennst du ihn? Ich habe in Caledonien Seite an Seite mit ihm gekämpft… «
Das Gespräch kreiste nun um den Feldzug im Norden, den der Senator mit größter Aufmerksamkeit verfolgt hatte. Erst als die Gäste in den Garten gebeten wurden, wo Tänzerinnen aus Bithynien auftraten, wurde die Unterhaltung wieder persönlicher.
»In drei Wochen gebe ich ein Essen… «, sagte Malleus und legte Gaius freundlich die Hand auf den Arm, »nichts Großes, aber du wirst ein paar Männer kennenlernen, deren Ansichten für dich vielleicht von Interesse sind. Es wäre mir eine Ehre, wenn du kämst. Cornelius Tacitus wird ebenfalls da sein.«
Von diesem Tag an schien die Runde seichter Feste und Veranstaltungen, die Gaius bereits ermüdeten, eine neue Dimension anzunehmen. Er hatte den Eindruck, als hebe sich endlich der Schleier, mit dem sich die römische Gesellschaft vor Außenseitern schützte. Auch wenn er nur einen Teil dieser Gesellschaft kennenlernte und vielleicht sogar einen gefährlichen Teil, war das besser, als vor Langeweile zu sterben.
Ein paar Tage später begleitete er seinen Gastgeber - er hieß mit Vornamen Corax - zu den Spielen im neuen Colosseum, das Domitian an der Stelle hatte errichten lassen, wo einst Neros prunkvoller Palast stand.
»Das Colosseum an dieser Stelle macht einen gewissen Sinn«, sagte Corax, als sie ihre Plätze in dem den Rittern vorbehaltenen Teil der Ränge einnahmen, »denn Nero hat Spiele veranstaltet, wie Rom sie noch nie gesehen hatte. Ein Höhepunkt war, als er die Römer davon überzeugen wollte, daß diese seltsame jüdische Sekte… du weißt schon, die Christen… den großen Brand von Rom verursacht hatten.«
»Und hatten sie es getan?«
Gaius sah sich neugierig um. Sie waren gerade zwischen zwei Kämpfen angekommen, und Sklaven entfernten den blutigen Sand.
»Man braucht in dieser Stadt kaum einen Brandstifter, damit ein Feuer ausbricht«, erwiderte Corax spöttisch. »Weshalb gibt es in jedem Viertel eine Feuerwache, für die wir alle bereitwillig zahlen? Aber der Brand damals war besonders verheerend, und der Kaiser brauchte einen Sündenbock, um den Gerüchten entgegenzutreten, er selbst habe die Stadt angezündet!«
Gaius sah ihn verblüfft an.
»Denk an die neuen Häuser, mein Freund… die neuen Häuser!« erklärte Corax. »Nero hielt sich für einen großen Architekten, und die Leute, denen das Land gehörte, wo das Feuer ausbrach, wollten nicht verkaufen. Der Brand geriet außer Kontrolle, und der Kaiser mußte jemandem die Schuld zuschieben. Aber du kannst mir glauben, die Spiele damals waren wirklich schrecklich… Es fehlte dabei jedes Geschick und jedes Können. Die armen Kerle
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