Die Wälder von Albion
Karrenräder auf dem Pflaster, das die Nacht fast so laut machte wie den Tag.
Aber als sie endlich die Hauptstraße erreichten, hörte er eine neue Art Lärm. Die Sänftenträger blieben stehen, und er schob neugierig die Vorhänge zur Seite, um den Grund für die Verzögerung zu sehen.
Eine feierliche Prozession näherte sich ihnen. Er sah die glattrasierten Köpfe von Priestern in weißen Gewändern und verschleierte Frauen. Die Frauen stießen laute Klagerufe aus, die durch das Rasseln von Sistren und das tiefe rhythmische Schlagen einer Trommel noch unheimlicher wirkten.
Gaius lief ein Schauer über den Rücken. Die Trauer rührte an etwas Tieferes, das er in dieser sinnenfrohen Stadt nicht erwartet hätte.
Ohne den Grund für das Leid der Priester und Priesterinnen zu kennen, empfand er es als sein eigenes Leid. Es war wie der Schmerz der Gläubigen im Mithräum, wenn der Stier getötet wurde.
Den Priestern an der Spitze folgten noch mehr Frauen. Ihr beinahe schwebender Gang erinnerte ihn an den Zug der Priesterinnen von Vernemeton. Das Ende der Prozession bildeten Träger mit der schwarz verschleierten Statue einer goldenen Kuh. Das Trommeln dröhnte noch ein paar Augenblicke in seinen Ohren, dann war der Zug vorbei, und seine Sänfte setzte sich wieder in Bewegung. Aber die Angst war nicht gewichen.
Gaius stellte fest, daß sich im Haus des Malleus Männer versammelt hatten, die nach allem, was er bisher erlebt hatte, den besten Teil der römischen Gesellschaft verkörperten. Die Speisen waren einfach, aber wohlschmeckend; alle Anwesenden waren gebildet und hervorragend informiert. Gaius fühlte sich geschmeichelt, unter ihnen sein zu können, und er wußte, von diesen Männern konnte er viel lernen.
Man sprach über die »Pietas«, und der Wein wurde halb und halb mit Wasser getrunken, damit alle klar genug im Kopf blieben, um das Thema ernsthaft erörtern zu können.
»Meiner Meinung nach geht die Frage darum, ob es mehr als eine wahre Religion gibt«, sagte Gaius, als man ihm das Wort überließ. »Natürlich hat jedes Volk seinen eigenen Glauben, und man sollte ihm erlauben, diesen Glauben zu behalten. Aber hier in Rom verehrt man viele Götter. Von der Existenz der meisten wußte ich früher überhaupt nichts. Erst heute abend habe ich zufällig eine Prozession gesehen. Sie wirkte orientalisch, aber die Gläubigen schienen alle Römer zu sein.«
»Das muß die Isis-Prozession gewesen sein«, sagte Herennius Senecio, einer der vornehmsten Gäste. »Die Anhänger der Isis gedenken in dieser Jahreszeit der Suche der Göttin nach dem zerstückelten Leib des Osiris. Wenn Isis die Stücke wiedergefunden hat, dann belebt sie den Gott und empfängt aufs neue das Sonnenkind Horus.«
»Haben nicht die Stämme in Britannien um diese Zeit ein ähnliches Fest?« fragte Tacitus. »Ich glaube, mich an Prozessionen durch die Felder zu erinnern… mit Masken und gebleichten Knochen.«
»Richtig«, erwiderte Gaius, »an Samhain läuft die weiße Stute mit ihren Anhängern über das Land, und die Menschen fordern die Seelen ihrer Ahnen auf, in den Leibern der Frauen wiedergeboren zu werden.«
»Vielleicht bringt uns das einer Antwort näher«, sagte Malleus. »Wir haben zwar unterschiedliche Namen für die Götter, aber ihrem Wesen nach sind sie alle gleich. Deshalb ist es Frömmigkeit, wenn wir sie unter irgendeinem dieser Namen verehren.«
»Zum Beispiel ist der Gott, den wir Jupiter nennen, der Gott der Eichen und Blitze«, sagte Tacitus. »Die Germanen verehren ihn als Donar und die Britonen als Taranis.«
Gaius runzelte die Stirn. Er konnte sich kaum vorstellen, daß eine keltische Gottheit in einem so großen Tempel verehrt werden konnte, wie er dem Jupiter auf dem Forum geweiht war.
Auf einem der Feste war er einer Vestalin begegnet. Er hatte die Frau mit besonderer Neugier beobachtet. Sie besaß zwar eine gewisse Würde und bestimmt mehr Moral als die meisten Römerinnen, die er kannte, aber er entdeckte nichts von der Besonderheit, wie er sie bei den Priesterinnen von Vernemeton kannte. Seltsamerweise konnte er die ägyptische Isis der Prozession eher mit der Göttin in Verbindung bringen, der auch Eilan diente.
»Ich glaube«, sagte Malleus, »unser Freund aus Britannien hat den Finger in die Wunde gelegt. Unsere Väter und Vorväter haben erbittert gekämpft, um zu verhindern, daß fremde Kulte wie die der Cybele und des Dionysos in Rom Wurzeln schlugen. Man hat sogar den Tempel der Isis
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