Die Wälder von Albion
meinst du das?« fragte er.
Lhiannon sah ihn seltsam an.
»Du solltest dich etwas mehr darum kümmern, was hier in Vernemeton geschieht. Ich vermute, es würde dir schwerfallen, Caillean zu vertrauen. Sie besitzt die überaus problematische Gewohnheit des Denkens, und meist denkt sie genau zum falschen Zeitpunkt.«
»Aber sie ist die ranghöchste Priesterin und deine ständige Begleiterin. Du weißt, wenn du morgen sterben solltest, würde man Caillean zu deiner Nachfolgerin wählen, es sei denn… « fügte er mit Nachdruck hinzu, »… es sei denn, sie würde die Prüfung nicht überleben.«
Lhiannon wurde blaß, aber er sprach unbeirrt weiter: »Du solltest am besten wissen, ob Caillean von der Göttin akzeptiert werden würde… «
Lhiannon schwieg, und er änderte seine Taktik.
»Aber stell dir vor, es gäbe eine andere, eine Unbekannte, die du ausbilden könntest. Wenn der Rat… niemals erfährt und ahnt, daß diese Sache abgesprochen war… «, sagte er sehr freundlich.
Lhiannon nickte langsam.
»Wenn ein Mädchen für diese Aufgabe geeignet und intelligent genug ist, dann besteht aus meiner Sicht kein Grund dafür, ein Verbrechen oder eine Gotteslästerung darin zu sehen, daß sie auf die Prüfung der Göttin vorbereitet wurde… und auf die schwere Last, die sie tragen muß«, sagte sie dann leise.
Ardanos schwieg. Er wußte, weiter durfte er nicht in sie dringen. Draußen hörte man den Wind in den Bäumen, aber im Raum gab es nur das Geräusch ihres Atems.
»Welches Mädchen hast du gewählt, das ich als meine Nachfolgerin wählen soll?« fragte Lhiannon.
Vor einem Fest, bei dem die Hohepriesterin als die Stimme der Göttin sprechen sollte, zog sich Lhiannon drei Tage lang völlig zurück. Nur eigens von ihr ausgewählte Priesterinnen hatten dann Zugang zu ihr. Lhiannon ruhte, meditierte und reinigte sich. Caillean wich in solchen Zeiten nicht von ihrer Seite. Sie freute sich über die völlige Zurückgezogenheit. Das Leben in Vernemeton konnte manchmal sehr aufreibend sein, denn wenn so viele Frauen, wie heilig sie auch sein mochten, zusammenlebten, mußte es hin und wieder zu Konflikten kommen.
Aber diesmal fiel es ihr schwer, die Erinnerungen an die Welt draußen beiseite zu schieben. Sie rührte den Haferbrei und fügte noch ein paar Nüsse hinzu, um ihn nahrhafter zu machen, denn die Hohepriesterin aß in der Zeit der Reinigung kein Fleisch. Dann füllte sie die Holzschale und reichte sie Lhiannon.
»Was wollte Ardanos von dir?« Caillean hörte, daß ihre Worte bitter klangen, aber es gelang ihr nicht, den vorwurfsvollen Ton zu unterdrücken. »Ich dachte, er würde wie üblich erst am Tag von Beltane kommen.«
»Du darfst den höchsten Druiden nicht ständig kritisieren, mein Kind.« Lhiannon schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Auf seinen Schultern liegt eine schwere Last.«
»Auf deinen auch… «, erwiderte Caillean bissig. »Und er erleichtert sie dir mit seinen Forderungen keineswegs.«
Lhiannon zuckte mit den Schultern, und Caillean stellte wieder einmal fest, wie zart diese Schultern waren, auf denen die Last so vieler Hoffnungen und Ängste ruhte.
»Er tut, was er kann«, sagte die Hohepriesterin und überging Cailleans Bemerkung. »Er macht sich Sorgen darüber, was geschehen wird, wenn ich nicht mehr da bin.«
Caillean sah ihre Herrin erschrocken an. Es war allgemein bekannt, daß eine Priesterin, besonders wenn sie dieses hohe Amt bekleidete, den Zeitpunkt ihres Todes kannte.
»Hast du ein Zeichen bekommen, ein Omen? Oder hat er etwas in der Zukunft gesehen?«
Lhiannon schüttelte gereizt den Kopf. »Er hat nur ganz allgemein darüber gesprochen. Und du wirst einsehen, daß sich jemand über diese Dinge Gedanken machen muß. Niemand ist unsterblich, und wer meine Nachfolgerin werden will, muß bald mit der Ausbildung beginnen.«
Caillean sah sie einen Augenblick verblüfft an. Dann lachte sie.
»Du willst mir demnach zu verstehen geben, daß keine der Priesterinnen, die bereits ausgebildet sind… vor allem ich nicht… als deine Nachfolgerin akzeptiert werden wird? Mach dir nicht die Mühe, etwas zu sagen… «, fügte sie schnell hinzu, »ich weiß, du wirst ihn nur verteidigen, und ich kann dir versichern, ich habe nicht den Ehrgeiz, deine Nachfolgerin zu werden. Das Amt der Hohepriesterin ist nicht genug, um das zu rechtfertigen, was du in all den Jahren durchmachen mußtest.« Sie nickte. »O ja, ich weiß es, denn ich habe es mit eigenen Augen
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