Die Wälder von Albion
Am grauen Himmel zeigte sich gerade das erste zarte Licht des frühen Sommermorgens.
Mit einem tiefen Seufzer legte sie sich wieder hin und versuchte, sich an ihre Träume zu erinnern. Sie hatte von dem Fest geträumt, aber dann hatte sich die Szene verändert. Sie hatte einen Adler gesehen, und sie war ein Schwan gewesen. Dann war der Adler ebenfalls ein Schwan geworden, und sie waren beide davongeflogen.
Direkt an der Wand schlief die kleine Senara. Sie schlief auf dieser Seite, damit sie nicht aus dem Bett fiel. Ihre kleine Schwester hatte die Beine wie ein Säugling angezogen, und die spitzen Knie stießen Eilan in die Seite. Mairi war vorübergehend ins Elternhaus zurückgekehrt, bis sie wußte, was mit Rhodri geschehen war. Sie lag mit ihrem Kind auf der gegenüberliegenden Seite. Diedas Bett stand an der Stirnseite. Die langen Haare verhüllten fast ihr Gesicht. Sie hatte den Kragen des Nachthemds nicht geschlossen, und Eilan sah die Kette um ihren Hals, an der Cynrics Ring hing.
Rheis und Bendeigid wußten noch nicht, daß die beiden sich verlobt hatten. Das Geheimnis lastete auf Eilan. Aber Dieda und Cynric wollten ihr Verlöbnis heute beim Fest bekanntgeben. Dann mußten die Familien die schwierigen Verhandlungen über die Mitgift und den künftigen Wohnsitz des Paares beginnen, damit die beiden heiraten konnten. Cynric hatte keine Verwandten, das würde natürlich alles vereinfachen. Aber Ardanos, Diedas Vater, würde vielleicht Einwände haben.
In dem Raum standen außer den Betten nur eine an der Wand befestigte Bank und eine Eichentruhe, in der die Mädchen ihre Kleider und die Festgewänder aufbewahrten. Die Truhe hatte Rheis mit in die Ehe gebracht, und es war immer davon die Rede gewesen, daß sie einmal zu Diedas Mitgift gehören werde. Eilan hatte nichts dagegen, denn unter den geschickten Händen des alten Vab entstand bereits eine andere, ebenso schön gearbeitete Truhe. Sie würde Eilan gehören, und später sollte auch Senara eine Truhe bekommen. Eilan hatte gesehen, wie die Eichenbretter poliert wurden, bis sie glänzten, und die Holznägel gefärbt, so daß man sie nicht mehr sah.
Der Säugling weinte verschlafen und begann kurz darauf zu schreien. Mairi setzte sich seufzend auf, schob sich die langen lockigen Haare aus dem Gesicht und nahm den Kleinen in den Arm. Sie mußte aufstehen und den Lappen in seiner Hose wechseln. Als sie zurückkam, legte sie das Kind auf das Bett. Es lachte zufrieden, und sie liebkoste ihren kleinen Sohn.
Eilan schob die Füße in die Holzpantinen und sagte: »Ich höre Mutter draußen. Ich glaube, wir sollten aufstehen.«
Sie zog das Leinenkleid an. Dieda schlug die Augen auf und murmelte: »Ich komme nach. Ich brauche bestimmt nicht lang zum Anziehen.«
Mairi lachte. »Ich kann Rheis helfen, wenn ich den Kleinen gestillt habe. Du und Eilan, ihr könnt hier bleiben und euch für das Fest schönmachen. Wenn ihr ein Auge auf einen jungen Mann geworfen habt, dann solltet ihr heute so hübsch wie möglich sein.«
Sie lächelte verständnisvoll. Dieda wurde zu Hause nicht verwöhnt, denn sie hatte bei ihrem strengen Vater kein leichtes Leben und wenig Gelegenheit, an sich selbst zu denken. Deshalb versuchten alle, Dieda zu verhätscheln, wenn sie zu Besuch kam.
Mairi nahm den Kleinen auf den Arm und verließ den Raum. Dieda streckte sich wohlig aus und murmelte verschlafen: »Ist das Fest wirklich schon heute? Ich dachte, es sei erst morgen.«
»Es ist wirklich heute«, erwiderte Eilan und fügte etwas anzüglich hinzu: »Und du und Cynric, ihr werdet eure Verlobung bekanntgeben.«
»Wird dein Vater einverstanden sein?« fragte Dieda.
»Oh, wenn dein Vater seine Zustimmung gibt, dann kommt es kaum noch darauf an, was mein Vater sagt«, antwortete Eilan diplomatisch. »Außerdem, wenn mein Vater etwas dagegen hätte, daß ihr beiden euch liebt, dann hätte er bestimmt schon etwas gesagt. Ach übrigens, ich habe heute nacht von dir und Cynric geträumt. Ihr seid beide auf dem Fest gewesen.«
»Wirklich? Erzähl mir den Traum!«
Dieda setzte sich auf und wickelte sich in das Bettlaken, denn es war noch immer kühl.
»Ich weiß nicht mehr viel. Aber dein Vater war glücklich und zufrieden. Sag mal, willst du wirklich meinen Stiefbruder heiraten?«
»O ja«, erwiderte Dieda lächelnd und schwieg. Eilan wußte, daß Dieda nichts mehr sagen würde.
Sie sagte neckend: »Vielleicht sollte ich Cynric fragen, er ist sicher nicht so schweigsam.« Sie lachte, als
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