Die Wälder von Albion
Leben verurteilt waren. Sie bekamen wenig zu essen, mußten von früh bis spät arbeiten und starben, weil sie den giftigen Bleistaub einatmeten. Das wäre schon eine schwere Strafe für Verbrecher und Mörder, aber was hatte der Mann der Magd getan, um dieses Schicksal zu verdienen?
Gaius hatte behauptet, die Römer würden die barbarischen Völker zivilisieren. Vielleicht hatte er nie über die Minen nachgedacht, weil niemand, den er kannte, dorthin verschleppt worden war. Auch sie hatte nichts davon gewußt, bis einige ihrer Leute von den Römern ausgehoben wurden. Sie hatte es nicht gewußt, aber ihr Großvater und ihr Vater wußten es bestimmt, und sie hatten nichts getan, um dieses Unrecht zu verhindern.
Der Wind wehte plötzlich aus Westen, und aus den dicken Wolken ging ein heftiger Schauer nieder. Miellyn schrie auf und zog das Umschlagtuch über den Kopf.
»Wir werden ertrinken, wenn wir noch länger hierbleiben!« rief sie. »Nimm deinen Korb, und dann los! Wenn wir nicht rennen, werden wir naß bis auf die Haut!«
Sie waren naß bis auf die Haut, als sie die große Halle der Priesterinnen erreichten. Aber Miellyn hatte der Wettlauf mit den Wolken offenbar Spaß gemacht. Eilan war außer Atem.
»Ihr müßt euch auf der Stelle trockenreiben, sonst werdet ihr noch krank, und ich muß euch gesundpflegen!« rief die alte Latis lachend. »Aber kommt ja wieder und versorgt die Kräuter, die ihr mir gebracht habt, sonst werden sie schimmeln. Dann wären eure Arbeit und die Pflanzen vergeudet!«
Mit geröteter Haut vom Trockenreiben kehrten Miellyn und Eilan in den Vorratsraum hinter der Küche zurück. Die Hitze der Öfen sorgte hier für gleichmäßig warme und trockene Luft. An den Sparren hingen in Bündeln die Kräuter und in geflochtenen Schalen lagen Wurzeln oder Blätter, die in regelmäßigen Abständen zum Trocknen gewendet werden mußten. In Regalen standen Tontöpfe, Körbe und Säcke mit präparierten Heilpflanzen. Sie trugen die geheimnisvollen Zeichen der Heilkunde. In der Luft lag der schwere, aromatische Duft vieler Kräuter.
»Hör zu, Miellyn, an Beltane wirst du Gwenna auf den Markt begleiten. Ich bin zu alt dazu, und ihr seid jung.« Sie lachte krächzend. »Diesmal finden die großen Wettkämpfe statt, und es wird ein neuer Sommerkönig gewählt. Da habt ihr viel zu tun mit Knochenbrüchen, Verrenkungen und weiß die Göttin, was alles. Die Kälte macht den Leuten zu schaffen, auch wenn das Blut der jungen Männer heiß ist.« Sie lachte. »Paß nur auf, mein Täubchen«, sagte sie zu Miellyn, »daß dir die vielen Männer nicht den Kopf verdrehen… «
Miellyn wurde über und über rot. »Ich bin Priesterin und zum Heilen da und nicht, um Kinder zu gebären!«
Erst drei Monate später erfuhr Eilan, weshalb ihre Freundin Miellyn bleich und in sich gekehrt vom Fest zurückgekommen war. Die alte Latis erzählte ihr eines Tages, daß Miellyn von ihren üblichen Pflichten entbunden worden war.
»Sie ist schwanger, Eilan«, murmelte Latis kopfschüttelnd, als könne sie es immer noch nicht ganz glauben. »Der Sieger der Wettkämpfe wurde zum neuen Sommerkönig gekrönt und hat sich Miellyn ausgesucht. Lhiannon war sehr bekümmert und ungehalten, als sie es erfahren hat. Sie hat Miellyn in die Hütte am weißen See geschickt, damit sie dort eine Weile allein ist und nachdenken kann.«
»Aber warum?« rief Eilan. »Wenn er sie haben wollte! Wie hätte sie sich ihm verweigern können? Das wäre eine Sünde gewesen.« Vergaßen die Priesterinnen ihre eigenen Gesetze?
»Lhiannon sagt, sie hätte ihm nicht unter die Augen treten müssen. Es gibt an einem solchen Fest genug Frauen, die sich um den Sommerkönig drängen.«
»Du kannst mir glauben«, sagte die hübsche Mira, »mir wäre es ohne weiteres gelungen, mich ihm zu entziehen, wenn sein Blick auf mich gefallen wäre! Wozu haben wir einen Schleier und können uns mit Zaubersprüchen schützen?«
Eilan dachte, auch sie hätte bestimmt alles getan, um zu vermeiden, von dem Mann gewählt zu werden. Aber als Miellyn wieder unter ihnen erschien, und selbst das weite Gewand den schwellenden Leib nicht länger verhüllen konnte, war sie vernünftig genug, es ihr nicht zu sagen.
Aber als sich beim nächsten Fest die alte Latis wieder zu schwach fühlte, um auf den Markt zu gehen, kam Gwenna zu Eilan.
»Mein Kind, du bist schon lange genug bei uns, und nach dem langen Winter solltest du wieder einmal hinaus in die Welt und sehen, daß es
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