Die Waffen nieder!
er verabscheut – kurz, er muß lügen – und meinen Sohn wollte ich vor allem zur Wahrhaftigkeit erziehen.«
»Dann hätte er um ein paar Hundert Jahre später geboren werden müssen, Liebste!« erwiderte Friedrich. »Ganz wahr kann nur ein freier Mann sein: und mit diesen beiden – Wahrheit und Freiheit – ist's noch schlecht bestellt in unseren Tagen, das wird mir – je mehr ich mich in mein Studium vertiefe – desto klarer.«
Jetzt, in unserer Weltabgeschiedenheit, hatte Friedrich zu seinen Arbeiten doppelte Muße und er oblag denselben mit wahrem Feuereifer.
So glücklich und zufrieden wir in der Einsamkeit lebten, so blieben wir doch bei dem Entschlusse, den folgenden Winter wieder in Paris zu verbringen. Diesmal aber nicht in der Absicht, uns zu belustigen, sondern um für unsere Lebensaufgabe einigermaßen praktisch zu wirken. Dabei hegten wir zwar nicht die Zuversicht , etwas zu erreichen – aber wenn einem auch nur die Möglichkeit des Schattens einer Chance geboten scheint, für eine Sache, die man als die edelste Sache der Welt erkannt hat, etwas leisten zu können, so empfindet man es als unabweisbare Pflicht, diese Chance zu versuchen.
Wir hatten nämlich, wenn wir in unseren traulichen Gesprächen die Pariser Erinnerungen rekapitulierten, auch jenes Planes des Kaisers Napoleon gedacht, der uns durch die Mitteilungen seiner Vertrauten zu Ohren gekommen – des Planes, den Mächten Abrüstung vorzuschlagen. Daran knüpften wir unsere Hoffnungen und unsere Projekte. Friedrichs Forschungen hatten ihm die Memoiren Sullys in die Hände gespielt, in welchem der Friedensplan Heinrichs IV. mit allen Einzelheiten verzeichnet stand. Davon wollten wir dem Kaiser der Franzosen eine Abschrift zukommen lassen; zugleich würden wir versuchen, durch unsere Verbindungen in Österreich und Preußen diese beiden Regierungen auf die Vorschläge der französischen Regierung vorzubereiten; ich konnte dies durch Minister Allerdings bewerkstelligen, und Friedrich besaß in Berlin einen Verwandten, der in einflußreicher, politischer Stellung und bei Hofe sehr gut angeschrieben war.
Im Dezember, als wir nach Paris übersiedeln wollten, wurden wir jedoch daran gehindert. Unser Schatz – unsere kleine Sylvia erkrankte. Das waren bange Stunden! ... Natürlich traten da Napoleon III. und Heinrich IV. in den Hintergrund: unser Kind im Sterben!
Aber es starb nicht. Nach zwei Wochen war alle Gefahr vorbei. Nur untersagte uns der Arzt, mit der Kleinen während der ärgsten Winterkälte zu reisen. Wir verschoben demnach unsere Abfahrt auf den Monat März.
Diese Krankheit und diese Genesung – die Gefahr und die Rettung – wie hatten die unsere Herzen erschüttert und dieselben – ich hätte dies nicht mehr für möglich gehalten – einander wieder näher gebracht! Gemeinschaftliches Zittern vor einem gräßlichen Unglück, welches man besonders wegen der Verzweiflung des andern fürchtet, und gemeinschaftlich geweinte Freudentränen, wenn dieses Unglück abgewendet, das vermag gar mächtig zwei Seelen in eine zu verschmelzen.
Sechstes Buch.
1870/71.
Vorahnungen? Die gibt es nicht. Paris hätte sonst, als wir an einem sonnigen Nachmittag des März 1870 dort anlangten, mir keinen so heiteren, lustversprechenden Eindruck machen können. Man weiß es heute, was damals in kürzester Frist derselben Stadt für Schrecknisse bevorstanden – aber mich beschlich nicht das mindeste trübe Vorgefühl.
Wir hatten schon im voraus – durch den Agenten John Arthur – dasselbe kleine Palais gemietet, welches wir im letzten Jahre bewohnt, und an der Einfahrt desselben erwartete uns auch unser vorjähriger maître d'hôtel . Als wir, um zu unserer Wohnung zu gelangen, über die elysäischen Felder fuhren – es war eben die Bois-Stunde – da begegneten wir mehreren unserer alten Bekannten und tauschten fröhliche Wiedersehensgrüße. Die vielen kleinen Veilchenkarren, welche um diese Jahreszeit in den Straßen von Paris herumgerollt werden, füllen die Luft mit tausend Frühlingsversprechungen; die Sonnenstrahlen funkelten und spielten regenbogenfarbig in den Springbrunnen des Rundplatzes und hefteten kleine Fünkchen an die Wagenlaternen und das Pferdegeschirr der zahlreichen Gefährte. Unter anderem fuhr auch die schöne Kaiserin in einem à la Daumont bespannten Wagen an uns vorbei und winkte, mich erkennend, einen Gruß mit der Hand.
Es gibt so einzelne Bilder und Szenen, die sich in das Gedächtnis einphotographieren und
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