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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Fortschritt der Gesellschaft, mehr noch als der Krieg selber, die Liebe zum Kriege im Schwinden begriffen sei. Das war mir aus der Seele gesprochen. Sogar in meinem kurzen Innenleben war diese Verminderung vor sich gegangen; und wenn ich oft diese Regung als etwas Feiges, Unwürdiges unterdrückt hatte, glaubend, daß ich allein mich solchen Frevels schuldig mache, so erkannte ich jetzt, daß dies bei mir nur der schwache Widerhall des Zeitgeistes war; daß Gelehrte und Denker, wie dieser englische Geschichtsschreiber, daß unzählige Menschen mit ihm die einstige Kriegsvergötterung verloren hatten, welche – wie sie eine Phase meiner Kindheit gewesen – in diesem Buche auch als eine Phase aus der Kindheit der Gesellschaft dargestellt war. Somit hatte ich in Buckles Geschichtswerke eigentlich das Gegenteil von dem gefunden, was ich gesucht. Dennoch empfand ich diesen Fund als einen Gewinn – ich fühlte mich dadurch gehoben, geklärt, beruhigt. Einmal versuchte ich mit meinem Vater über diese neugewonnenen Gesichtspunkte zu reden – aber vergebens. Auf den Berg hinauf wollte er mir nicht folgen – das heißt, er wollte das Buch nicht lesen – also war es aussichtslos, mit ihm von Dingen zu reden, die man nur von dort oben aus wahrnehmen konnte.
    Nun folgte das Jahr – zweite Phase –, da die Trauer in Melancholie übergegangen war. Jetzt las und studierte ich noch fleißiger. Das erste Werk Buckles hatte mir Geschmack am Nachdenken gegeben und die Freuden eines erweiterten Weltausblicks kosten gemacht. Davon wollte ich nun noch immer mehr und mehr genießen, und so ließ ich diesem Buche noch viele andere, im gleichen Geist verfaßte, folgen. Und das Interesse, die Genüsse, welche ich in diesen Studien fand, trugen dazu bei, die dritte Phase eintreten – nämlich die Melancholie schwinden zu machen. Als aber die letzte Wandlung mit mir vorging, das ist, als die Lebenslust von neuem erwachte, da wollten mir auf einmal die Bücher nicht mehr genügen; da sah ich auf einmal ein, daß Ethnographie und Anthropologie und vergleichende Mythologie und sonstige -logien und -graphien unmöglich meine Sehnsucht stillen konnten; daß für eine junge Frau in meiner Lage das Leben noch ganz andere Glücksblüten bereit hielt, nach welchen ich nur die Hand auszustrecken brauchte ... Und so kam es, daß ich im Winter 1863 mich anbot, meine jüngeren Schwestern selber in die Welt einzuführen und meine Salons der Wiener Gesellschaft öffnete.
    * * *
    Martha Gräfin Dotzky, eine reiche, junge Witwe. Unter diesem vielversprechenden Namen stand ich auf dem Personenverzeichnis der »große Welt«-Komödie. Und ich muß sagen, die Rolle sagte mir zu. Es ist kein geringes Vergnügen, von allen Seiten Huldigungen zu empfangen, von der ganzen Gesellschaft gefeiert, verwöhnt, mit Auszeichnungen überschüttet zu werden. Es ist kein geringer Genuß, nach beinahe vierjähriger Weltabgeschiedenheit plötzlich in einen Strudel von allerlei Vergnügungen zu gelangen; interessante, bedeutende Menschen kennen zu lernen, an fast jedem Tage ein glänzendes Fest mitzumachen – und dabei sich selber als den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit zu fühlen.
    Wir drei Schwestern hatten den Spitznamen »die Göttinnen vom Berge Iba« bekommen und die Erisäpfel lassen sich nicht zählen, welche die verschiedenen jungen Parisse unter uns verteilten; ich natürlich – in meiner oben erwähnten Theaterzettelwürde »reiche, junge Witwe« war gewöhnlich die Bevorzugte. Es galt übrigens in meiner Familie – und auch ein klein wenig in meinem eigenen Bewußtsein – als ausgemachte Sache, daß ich mich wieder vermählen würde. Tante Marie pflegte in ihren Homilien nicht mehr auf den Verklärten anzuspielen, der »dort oben meiner harrte«, denn wenn ich in den kurzen Erdenjahren, die mich vom Grabe trennten, mir einen zweiten Gatten angeeignet – eine von Tante Marie selber gewünschte Eventualität –, so war dadurch die Gemütlichkeit des himmlischen Wiedersehens mit dem ersten stark beeinträchtigt.
    Alle um mich herum schienen Arnos Existenz vergessen zu haben – nur ich nicht. Obwohl die Zeit meinen Schmerz um ihn geheilt hatte – sein Bild hatte sie nicht verlöscht. Man kann aufhören, um seine Toten zu trauern – die Trauer hängt auch nicht vom Willen ab – aber vergessen soll man sie nicht. Ich betrachtete dieses von meiner Umgebung geübte Totschweigen eines Verstorbenen als eine zweite nachträgliche Tötung und vermied es,

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