Die Waffen nieder!
den Armen auch totzudenken. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, täglich zum kleinen Rudolf von seinem Vater zu sprechen, und in seinem Abendgebet mußte das Kind stets sagen: »Gott, laß mich gut und brav sein, meinem geliebten Vater Arno zu Liebe!«
Meine Schwestern und ich »amüsierten« uns köstlich – ich gewiß nicht minder als sie. Es war ja sozusagen auch mein Debüt in der Welt. Das erste Mal war ich als Braut und Neuvermählte eingeführt worden; da hatten sich selbstverständlich alle Kurmacher von mir ferngehalten, und was ist des »Welt«-Lebens höchster Reiz, wenn nicht die Kurmacher? Aber sonderbar! So sehr es mir behagte, von einer Schar von Anbetern umgeben zu sein, keiner von ihnen machte einen tieferen Eindruck auf mich. Es lag eine Schranke zwischen ihnen und mir, die schier unübersteiglich war. Und diese Schranke hatte sich durch die drei Jahre meines einsamen Studierens und Denkens aufgerichtet. Alle diese glänzenden jungen Herren, deren Lebensinteressen in Sport, Spiel, Ballett, Hofklatsch und, wenn es hoch ging, in Berufsehrgeiz (die meisten waren Militärs) gipfelten, die hatten von den Dingen, die ich in meinen Büchern von ferne erschaut und an denen mein Geist sich gelabt, auch nicht die entfernteste Idee. Jene Sprache, von der ich freilich auch nur Anfangsgründe kennen gelernt, von der ich aber wußte, daß in ihr durch die Männer der Wissenschaft die höchsten Fragen beraten und einst gelöst werden; jene Sprache war ihnen nicht nur »spanisch«, sondern – patagonisch.
Unter dieser Kategorie junger Leute würde ich mir keinen Gatten wählen – das stand fest. Überhaupt hatte ich keine Eile, meine Freiheit, die mir so wohl gefiel, wieder aufzugeben. Ich wußte meine seinwollenden Freier so in Entfernung zu halten, daß keiner einen Antrag wagte und daß auch niemand in der Gesellschaft das kompromittierende Wort von mir sagen konnte: »Sie läßt sich den Hof machen.« Mein Sohn Rudolf sollte einst auf seine Mutter stolz sein dürfen – keinen Hauch des Verdachts auf dem blanken Spiegel ihres guten Rufes vorfinden. Wenn jedoch der Fall einträte, daß mein Herz von neuem in Liebe erglühte – es konnte nur für einen Würdigen sein –, dann war ich ja geneigt, das Anrecht, welches meine Jugend noch auf irdisches Glück besaß, geltend zu machen und eine zweite Ehe einzugehen.
Unterdessen – von Liebe und Glück abgesehen – war ich recht guter Dinge. Der Tanz, das Theater, der Putz: an alledem fand ich ein lebhaftes Vergnügen. Dabei vernachlässigte ich weder meinen kleinen Rudolf noch meine eigene Ausbildung. Nicht, daß ich mich in gründliche Fachstudien vertiefte; aber über die Bewegung der Geister erhielt ich mich stets auf dem Laufenden, indem ich mir die hervorragendsten neuen Erscheinungen der Weltliteratur anschaffte und regelmäßig sämtliche Artikel, auch die wissenschaftlichen, der Revue des deux Mondes und ähnlicher Zeitschriften aufmerksam las. Diese Beschäftigung hatte freilich zur Folge, daß die vorerwähnte Schranke, welche mein Seelenleben von der mich umgebenden Junge-Herrenwelt abschloß, immer höher wurde – aber das war schon recht so. Gern hätte ich in meinen Salon einige Persönlichkeiten aus der Literaten- und Gelehrtenwelt zugezogen, allein dies war in der Mitte, in der ich mich bewegte, nicht recht tunlich. Bürgerliche Elemente werden der österreichischen sogenannten »Sozietät« nicht beigemischt. Namentlich damals; seither hat sich dieser ausschließliche Geist etwas geändert und es ist Mode geworden, einzelnen Vertretern der Kunst und Wissenschaft seine Salons zu öffnen. Zu der Zeit, von der ich spreche, war dies jedoch nicht der Fall; was nicht hoffähig war – das heißt was nicht sechzehn Ahnen aufzuweisen hatte – war von vornherein ausgeschlossen. Unsere gewohnte Gesellschaft wäre ganz unangenehm überrascht gewesen, bei mir unadelige Leute anzutreffen, und hätte nicht den rechten Ton gefunden, mit solchen zu verkehren. Und diese selber hätten meinen mit »Komtesseln« und Sportsmen, mit alten Generälen und alten Stiftsdamen gefüllten Salon schon gar unerträglich langweilig gefunden. Welchen Anteil konnten Männer von Geist und Wissen, Schriftsteller und Künstler, an den ewig gleichen Erörterungen nehmen: bei wem gestern getanzt worden und bei wem morgen getanzt wird – ob bei Schwarzenberg, bei Pallavicini oder bei Hof – welche Passionen Baronin Pacher einflößt, welche Partie Komteß Palffy
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