Die wahre Koenigin
fort. „Ihr musstet an mich zahlen.“ Vom anderen Ende des Tisches ertönte heftiger Protest. „Untersteht Euch, Brice Campbell! Wie könnt Ihr es wagen! Ich habe das Rennen gewonnen. Und der Einsatz betrug fünfhundert Sovereigns. Als Ihr am Ziel ankamt, war ich längst wieder im Schloss. Ich erinnere mich, dass Ihr Euer armes Pferd rädern und vierteilen wolltet, weil es unterwegs gestrauchelt war.“
Rings um den Tisch breitete sich Schweigen aus, und alle Blicke waren auf die entschlossene kleine Person in dem weißen Kleid gerichtet.
Brice warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. „Und woher weiß meine Gefangene Meredith MacAlpin so gut über all diese Dinge Bescheid? Hat die Königin es ihr in der Bibliothek anvertraut?“
Mary sprang auf. „Ihr habt es von Anfang an gewusst, nicht wahr?“
„Nein, Majestät, nicht von Anfang an.“ Brice wischte sich die Augen. „Ich wurde erst stutzig, als ich mir die missglückte Nachahmung Eures französischen Akzents anhören musste.“ Die Anwesenden fingen an zu tuscheln und zu lachen. Endlich hatte auch der Letzte begriffen, dass sie alle einem Scherz aufgesessen waren.
„Aha. Dann hat Meredith es also verpatzt.“
„Nein. Es war die Unverfrorenheit meiner vermeintlichen Gefangenen. Ihr habt ein sehr ... königliches Auftreten, Majestät. Ein Wesenszug, der Euch von gewissen Rollen ausschließt.“ Brice grinste. „Wie hoch war denn diesmal der Wetteinsatz?“
„Nur ein Sovereign.“ Die Königin lachte. „Selbst bei höherem Einsatz hätte ich Mary Seton den Sieg überlassen, um Euch in die Schranken zu weisen, Brice Campbell.“ Sie blickte in die Runde. „Niemand von Euch hier soll denken, dass ein Highland-Lord seine Königin im Galopprennen besiegen kann. Wollt Ihr eine Revanche, Brice?“
„Nicht heute. Vielleicht ein anderes Mal, Majestät.“ Während die anderen sich an dem gelungenen Streich der Königin vergnügten und immer wieder in tosendes Gelächter ausbrachen, wandte Brice sich zu Meredith. „Gut gemacht, Mädchen. Für eine kurze Zeit ist es dir geglückt, mich zu täuschen, kleine Wildkatze.“
Meredith lächelte kühl. Warum um alles in der Welt sollte sie sich von Campbells Worten geschmeichelt fühlen? Schließlich war er noch immer derselbe Barbar, der sie brutal entführt hatte und nicht daran dachte, sie freizulassen. Er war ein Unmensch. Oder etwa nicht?
Merediths Gedanken schweiften ab. Sie musste an die Treue und Ergebenheit denken, die all diese Leute Campbell entgegenbrachten. Einem Mann mit diesem abscheulichen Ruf! Und sie dachte an die Bibliothek mit all den gelehrten Wer-ken. Deutete das nicht auf einen gebildeten und gesitteten Mann hin? Und noch etwas - Campbells Freundschaft mit der Königin. Zählte die Königin Schottlands grausame Barbaren zu ihren besten Freunden?
Fragen über Fragen. Meredith unterdrückte einen Seufzer und blickte zur Königin hinüber. Auch sie, die Mächtige, würde ihr keine Antwort geben. Sie würde wieder abreisen und die kleine unbedeutende MacAlpin bald vergessen haben.
Doch hatte die Königin nicht selbst gefragt, was aus ihr, Meredith, werden sollte? Und hatte sie ihr in der Rolle als Gefangene nicht einen deutlichen Hinweis auf eine Rettungsmöglichkeit gegeben? Nehmt Ihr mich mit, wenn Ihr abreist, Majestät?
Unverfrorenheit war nicht nur das Vorrecht einer Monarchin.
Meredith hatte gelernt. Sie würde die Königin geradeheraus fragen, ob sie sie aus dieser schrecklichen Gefangenschaft befreien könne.
Und von Brice Campbell.
6. KAPITEL
Nach dem vergnüglichen Auftakt herrschte eine ausgelassene Stimmung in dem Festsaal. Es wurde gelacht, getäfelt und getrunken. Eine Schar von Männern umstand die Königin, um sie zu ihrem einzigartigen Streich zu beglückwünschen.
Der Abend erinnerte Mary an vergangene, glücklichere Zeiten. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen glänzten, und sie genoss die Aufmerksamkeit und Komplimente der Herren. „Ich möchte Musik hören“, rief sie nach Beendigung des lange ausgedehnten Festmahls. Gewöhnt, Befehle zu erteilen, ließ sie die Musikanten aufmarschieren, die die Jagdgesellschaft begleitet hatten.
Während die Männer ihre Instrumente stimmten, schob Brice Jamie vor sich her, bis der Junge mit hochroten Wangen vor der Königin stand.
„Jamie spielt mehrere Instrumente, Madame, sogar die Laute. Es wäre eine große Ehre für den Jungen, wenn er die königlichen Musikanten begleiten dürfte.“
Die Königin
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