Die wahre Koenigin
die Hofsitte befolgen und zwischen sich ihre Tischherren dulden, die vornehmen jungen Männer der königlichen Jagdgesellschaft. Über die Köpfe ihrer Begleiter hinweg warfen sie sich vielsagende Blicke zu, untröstlich, dass sie der Unterhaltung zwischen Campbell und der „Königin“, nicht Wort für Wort folgen konnten.
Brice blickte zu Meredith hinüber, die zwischen Angus Gordon und Jamie MacDonald am anderen Ende des Tisches saß. Sie lächelte ihm zu. Merkwürdig. Bis jetzt hatte sie noch nie einen freundlichen Blick für ihn gehabt.
Die Kristallkelche wurden gefüllt, und Brice hob seinen Pokal. „Auf Mary, die Königin der Schotten.“
„Auf Mary! “, riefen alle Anwesenden im Chor, bevor sie die Kelche an die Lippen hoben.
Die Person, der der Trinkspruch galt, nickte huldvoll und nippte an ihrem Kelch. Einen Moment lang war es still in dem großen Saal. Plötzlich wurde das Schweigen gebrochen. „Majestät“, kam es vom unteren Ende des Tisches, „wenn Ihr ab-reist, werdet Ihr mich dann mitnehmen?“
Alle Köpfe fuhren herum, Jeder starrte fassungslos auf die junge Frau. Woher nahm sie den Mut zu einer solchen Dreistigkeit?
Angus legte ihr warnend die Hand auf den Arm, aber sie schob sie mit herrischer Geste fort. Sie benahm sich, als hätte noch nie jemand gewagt, sie in dieser Weise zu berühren.
„Brice sah aus dem Augenwinkel, wie die Königin leicht mit dem Kopf nickte. Er war einem Wutausbruch nahe und konnte sich nur mühsam beherrschen. Was fiel dieser Frau ein, mit dem Segen der Königin aus Kinloch House entfliehen zu wollen! Nachher, wenn er mit ihr allein wäre, würde er sie sich vornehmen. Aber vorerst musste er seinen Zorn zügeln und geschickt vorgehen.
„Es gehört sich nicht, unaufgefordert das Wort an die Königin zu richten“, belehrte er Lady MacAlpin.
„Majestät, darf ich sprechen?“, kam vom Ende des Tisches die dreiste Antwort.
Wieder versuchte Angus einzugreifen. Aber Meredith beachtete seine leise gemurmelte Warnung nicht und setzte zum Sprechen an.
„Nein!“, schnitt Brice ihr das Wort ab. „Wir werden jetzt speisen.“ Auf sein Zeichen hin eilten die Diener herbei und boten den Gästen die fleischbeladenen Platten an. Die verschwenderische Auswahl reichte von Wild, Kaninchen, Gans bis hin zu Fasanenbrust und Rebhuhn. Als Beilage wurden frisches Brot, Pasteten und verschiedene heiße Mehlspeisen gereicht.
„Was für ein wunderbares Essen, Mylord!“, rief die Frau in dem weißen Kleid aus.
Brice runzelte ärgerlich die Stirn. Beabsichtigte Meredith, die Unterhaltung ganz allein zu bestreiten? Vielleicht hoffte sie, die Aufmerksamkeit der Königin auf sich zu ziehen und ihre Gunst zu gewinnen. Oder hatte sie sie bereits mit ihrer aufregenden Erzählung auf ihre Seite gezogen?
„Man sagt, dass die Highlander wie Fürsten leben, während die Menschen in den Lowlands hungern. “ Wieder schossen die Köpfe zu der Frau im Brautkleid. Mit unschuldigem Lächeln fügte sie hinzu. „Stimmt es nicht, Majestät?“
Brice vernahm neben sich einen erstickten Laut. „Doch“, kam die leise Antwort, und dann, mit leichten französischen Akzent: „Ich ’abe ge’ört, dass viele Lowlander den ’ighland-Lords ihren Besitz neiden. Was sagt Ihr dazu, Meredith?“ Brice drehte sich um und fasste die Frau in dem roten Reitgewand ins Auge. Irgendetwas stimmte hier nicht, und dann wusste er es. Die Stimme. Dies war nicht Marys Stimme.
Brice kannte die Königin seit Langem und war seit vielen Jahren ihr Freund. Er hatte sie glücklich erlebt und zornig, hatte sie im Kummer getröstet und auf Festen mit ihr getanzt. Er kannte sie zu gut. Ihr Aussehen konnte sie verändern, aber ihre Stimme würde er unter tausend anderen erkennen.
Warum war die Königin verschleiert? Weshalb trug sie auf einem Bankett eine Reitkappe? Um etwas zu vertuschen, warum sonst!
Brice musste sich zwingen, ernst zu bleiben. Es zuckte um seine Mundwinkel, als er das verschleierte Gesicht näher betrachtete. „Erinnert Ihr Euch noch an unseren gemeinsamen Ausritt mit dem Prinzen?“, fragte er. „In Eurem ersten Jahr in Paris?“
Die Frau neben ihm hüllte sich in Schweigen.
„Ihr könnt es unmöglich vergessen haben, Majestät. Wir ritten um die Wette. Euer Einsatz war hoch - hundert Gold-Sovereigns, wenn ich mich recht entsinne.“
Brice wartete, aber die Frau neben ihm sagte noch immer nichts.
„Zu Eurem Pech gewann ich das Rennen um einige Längen“, fuhr Brice triumphierend
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